Die italienische Regierung hat das deutsche Seenotrettungsschiff 'Aurora' von Sea-Watch festgesetzt, nachdem es einen anderen Hafen als vorgeschrieben angelaufen hatte. Neben einer erzwungenen 20-tägigen Inaktivität des Schiffes droht der Organisation Sea-Watch eine potenzielle Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro. Die Aufregung entstand, nachdem die Schiffsbesatzung 72 Menschen gerettet hatte und den Kurs auf die Insel Lampedusa setzte. In diesem Kontext steht auch die anhaltende rechtliche Auseinandersetzung mit Sarah Mardini, einer Aktivistin und ehrenamtlichen Seenotretterin, die von den griechischen Behörden wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung festgenommen und angeklagt wurde. Dies verdeutlicht, dass die Rettung von Flüchtlingen von den Behörden zunehmend erschwert und kriminalisiert wird.
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Im Jahr 2015 flohen Sarah Mardini und ihre Schwester Yusra aus Damaskus. Ihre Reise führte sie über den Libanon in die Türkei, wo sie in ein überfülltes Schlauchboot gezwängt wurden. Doch bevor sie die rettende Küste von Lesbos erreichen konnten, versagte der Motor des Bootes. Die erfahrenen Schwimmerinnen Sarah und Yusra sprangen ins Wasser und zogen das Boot mit 18 Passagieren schwimmend ans Ufer. Nach diesem mutigen Akt setzten die Schwestern ihre Reise über die Balkanroute fort und erreichten schließlich Deutschland.
Sarah Mardini kehrte nach Griechenland zurück und entschied sich, als Freiwillige auf Lesbos Leben zu retten und sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, deren Schicksal sie vor wenigen Jahren selbst teilen musste. Doch 2018 werden Sarah Mardini und andere Seenotretter:innen am Flughafen von Lesbos festgenommen. Ihr und anderen Helfer:innen und Aktivist:innen wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zur illegalen Einreise vorgeworfen. Ihr langwieriges Verfahren wird von vielen als Kriminalisierung der Flüchtlingssolidarität in Europa betrachtet. Sarah saß in der Zeit bereits 107 Tage in griechischer Untersuchungshaft – und kam auf Kaution frei. Sie wartet vier Jahre auf ihr Gerichtsverfahren, in dem ihr 20 Jahre Haft drohen. Im Januar dieses Jahres begann nun endlich das Verfahren. Ein Teil der Anklage gegen Sara Mardini wurde fallen gelassen, unter anderem der Vorwurf der Spionage. Doch im Frühjahr 2023 legte eine Staatsanwältin Einspruch gegen das Urteil ein. Andere Anklagepunkte werden immer noch ermittelt.
Mythos Pull Effekt
Neue Studienergebnisse eines internationalen Forschungsteams um Alejandro Rodriguez von der Universität Potsdam widerlegen gängige populistische Behauptungen über eine vermeintliche Anziehung von Migration durch die Seenotrettung. Tatsächlich haben Faktoren wie politische Konflikte, Rohstoffpreise, Naturkatastrophen und Währungsschwankungen in den Heimatländern einen weitaus größeren Einfluss auf die Migration als dass in Seenot geratene Flüchtlinge von Aktivist:innen an die Küsten Europas gebracht werden. Denn bereits in den ersten beiden Monaten dieses Jahres sind 327 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken. Unter ihnen waren etwa 60 Opfer eines tragischen Schiffsunglücks vor der Küste von Crotone in Italien.
Verschärfte Auflagen für Seenotrettung
Die steigende Anzahl von ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer erfordert dringend konkrete Maßnahmen. Das Verkehrsministerium plante Anfang des Jahres, die Sicherheitsanforderungen für kleine Schiffe zu verschärfen. Wasserfahrzeuge von 24 bis 35 Metern Länge sollen künftig wie große Frachtschiffe behandelt werden. Diese Pläne stießen auf deutliche Kritik seitens deutscher Seenotrettungs-NGOs, die erhebliche zusätzliche Kosten für Umbauten und Sicherheitsausrüstung befürchteten. Die geplante Neuregelung scheint bewusst die bereits bestehende "Rettungslücke" im Mittelmeer zu vergrößern, wie zivile Retter betonen. Das Ministerium wies diese Vorwürfe zurück und betonte, dass es um die Gewährleistung der Sicherheit der Schiffe gehe. Für die Seenotrettung bleibt dies dennoch ein herber Rückschlag. Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die zivile Seenotrettung zu fördern. Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter und Berichterstatter seiner Fraktion für internationales Flüchtlingsrecht, erklärte, dass das Verkehrsministerium die zugesagte Unterstützung für die Seenotrettung nicht untergraben darf. Es sei inakzeptabel, dass zivilen Seenotrettungsorganisationen erhebliche Hindernisse auferlegt werden.
Die Verpflichtungen der Regierung, die Seenotrettung zu fördern, dürfen nach mehr als zwei Jahren nicht mehr nur ein Satz im Koalitionsvertrag bleiben, sondern müssen endlich realisiert werden. Regelungen, die die Arbeit der freiwilligen Helfer:innen und NGOs be- und sogar verhindert, sind der falsche Weg. Auch die Fälle der “Aurora” oder Sarah Mardini zeigen, dass diejenigen, die sich für die Flüchtlinge im Mittelmeer einsetzen, kriminalisiert und bestraft werden, anstatt die politische Unterstützung zu erhalten, die die Seenotrettung vor Europas Grenzen so dringend nötig hat.