Von Keksen und Zähnen

Was braucht man für ein schönes Weihnachtsfest? Für viele ist es eine besinnliche Zeit mit der Familie in einem warmen, geschützten Raum. Oft duftet es herrlich nach Gans und vielen anderen Leckereien und die Kinder schauen immer wieder ungeduldig auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Unsere Redakteurin hat Weihnachten schon ganz anders erlebt, mit Straßenkindern und starken Zahnschmerzen bei einer Ärztin in Bolivien. Die süßen Merenguitas-Kekse hat sie später lieber nicht mehr alleine gegessen.

Bolivianische Kinder zeigen Zähne (ArturoChoque/Pixabay)

2017 und 2019 habe ich Weihnachten in Bolivien gefeiert. In der Weihnachtszeit denke ich besonders an diese Zeit zurück. Im Dezember 2017 befand ich mich bereits seit fast fünf Monaten in Cochabamba, wo ich meinen Freiwilligendienst absolvierte. In der Weihnachtszeit hatte ich wohl etwas zu viel Süßes und Kekse gegessen, bekam Zahnschmerzen und musste zum Zahnarzt. Meine Kolleginnen empfahlen eine Ärztin in der Innenstadt.

Fragwürdiger Zahnersatz im Wohnzimmer

Als ich durch die übermäßig beleuchteten Hauptstraßen lief, wurde ich fast geblendet von den grellen Weihnachtslichtern. Angekommen an einer Straße nahe des Hauptmarkts klingelte ich an der Tür eines alten, etwas heruntergekommenen Gebäudes. Ich hatte gemischte Gefühle, als die Tür aufging und ich über eine schmale Treppe in den ersten Stock gelangte. War ich hier richtig, bei der Zahnärztin, die mir alle empfohlen hatten? Da stand ich nun, mitten in einem kleinen Wohnzimmer. Auf dem Teppich spielten zwei Kinder und im Nebenraum lief der Fernseher. Wir gingen ins Behandlungszimmer und ich setzte mich auf einen etwas klapprigen Stuhl. Ich berichtete von meinen Beschwerden und die Ärztin hörte aufmerksam zu. Anschließend betäubte sie die Stelle, aber ich konnte noch alles spüren. Trotzdem machte sie sich ans Werk. Ich glaube, in meinem Leben war ich noch nie so nervös. Die feinen, summenden Geräusche klangen bedrohlich und schrill in meinen Ohren. Ich hatte richtig Angst. Zähne bestimmen doch über so Vieles im Leben. Ich brauche sie zum Reden und Essen, sie sind ein wichtiger erster Eindruck, Zahnprobleme können mich sehr einschränken. Als ich plötzlich einen lähmenden Schmerz spürte, der mir bis ins Rückenmark ging, hörte die die Zahnärztin auf zu bohren und füllte das Loch mit einer Paste. Ich konnte meinen Kiefer nicht schließen, doch sie sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, das würde mit der Zeit besser. Mit einem kleinen Schrecken, aber immerhin mit einem behandelten Zahn ging ich wieder nach Hause. Nicht gerade die schönste Vorweihnachtsgeschichte, dachte ich. Ich ahnte nicht, was ich da jahrelang in meinem Zahn mit mir herumtragen sollte.

Geschenke erst ganz zum Schluss

Ich arbeitete in Bolivien als Freiwillige für die Stiftung „Hilando Sueños“ (Träume spinnen), die Kinder in einem Armenviertel unterstützt. Vor Weihnachten hatte ich noch viel zu erledigen. Die Weihnachtszeit dort ist immer sehr intensiv und besonders. Viele Familien haben nicht die nötigen Mittel, um ihren Kindern ein großes Weihnachtsfest zu bieten. Daher hat es sich das Projekt zur Aufgabe gemacht, den Kindern zu Weihnachten das zu ermöglichen, was für viele Kinder weltweit selbstverständlich ist: Eine Weihnachtsfeier mit selbstgebackenen Plätzchen, Deko, Liedern, Gottesdienst und natürlich auch Geschenken. Die Weihnachtszeit startet üblicherweise mit einem traditionellen Plätzchenbacken. Ich freute mich riesig, den eifrigen Kleinen beim Backen zuzuschauen und ihre strahlenden Gesichter zu sehen, wenn sie die Kekse zu ihren Familien mit nach Hause nehmen konnten. Die Weihnachtsfeier findet immer eine Woche vor Weihnachten statt. Sie beginnt mit einer Messe mit Krippenspiel und traditionellen Tänzen. Im Anschluss gibt es eine Tombola und Jahres-Abschiedsworte von der Direktorin. Zum Schluss wird noch gemeinsam gegessen und erst dann, ganz am Ende, werden die Geschenke verteilt. Was mich immer wieder erstaunte, war die Geduld der Kinder. Kein Geschenk wurde geöffnet, bevor alle eines in der Hand hatten. All diese Dynamik, Dankbarkeit und Freude in dem Projekt, vor allem zu dieser Zeit, sind mir bis heute im Herzen und in Gedanken geblieben. Im Jahr 2019 konnte ich noch einmal zurückkehren und das Weihnachtsfest in diesem Jahr ist mir in besonderer Erinnerung.

Verschenkte Merenguitas-Kekse: Pachi!

Zwei Tage vor Weihnachten wollte ich mit anderen Freiwilligen in die Hauptstadt Sucre fahren. Nach achtstündiger Fahrt dort angekommen, frühstückten wir erst einmal gemütlich. Danach gingen wir zur Franziskuskirche und genossen die Aussicht auf die Stadt. Da es einer Mitreisenden schlecht ging, suchten wir eine Apotheke auf. Während wir in der Apotheke standen und uns beraten ließen, bemerkte ich einen Jungen, der sich uns näherte. Er sah schmutzig und verwahrlost aus. Ich hatte Kekse dabei, die wir uns als Tagesproviant gekauft hatten. Von der gleichen Marke, Merenguitas, die mir zwei Jahre zuvor Zahnschmerzen bereitet und mich zur Zahnärztin hatten gehen lassen. Der Junge schaute auf die Kekse, mit der hellgelben Füllung und der Zuckerschicht auf dem Butterkeks, schnappte sich die Packung und rannte davon. Später, als wir durch die Straßen gingen, sah ich den Jungen an einem Brunnen sitzen. Neben ihm saß ein noch jüngerer Junge. Voller Freude und mit leuchtenden Augen verspeisten sie gemeinsam die Kekse. Als es Abend wurde, beschlossen wir, dass wir in diesem Jahr nicht die Weihnachtsmesse besuchen würden. Stattdessen legten wir unser Geld zusammen und kauften noch mehr Kekse. Wir gingen am Hauptplatz spazieren und verteilten sie. Gegen 22 Uhr fiel mir ein Junge auf. Er hatte diese spitze, typisch andinische Mütze auf und kniete auf dem Boden. Mit Kreide malte er ein wunderschönes Gesicht einer strahlend lächelnden Frau auf den Boden. Ich sprach ihn an und mir schien, als wolle er weglaufen. Als er bemerkte, dass ich ihm Kekse geben wollte, kam er zu mir. Ich gab ihm eine volle Tüte und er schenkte mir sein breitestes Lächeln. Seine Zähne waren, anders als die, die er gemalt hatte, voller Löcher und schwarzer Stellen. Er sagte „pachi“, was auf Quechua so viel wie „Danke“ heißt, und ging weg. Es war schön, diesen kurzen Moment mit den Jungen zu teilen und zu wissen, dass er wenigstens für einen Moment glücklich war.

Glückliche Weihnacht, trotz Zement im Zahn

Besonders diese Weihnacht denke ich oft an diese Kinder auf den Straßen zurück. Seit meinem letzten Zahnarztbesuch in Deutschland weiß ich, dass die Füllung, die ich damals bekomme habe, keine normale Dentalfüllung war, nicht einmal Amalgam, sondern eine Asphalt-Zement-Masse. Die bolivianische Zahnärztin hatte diese Mischung nicht etwa aus Boshaftigkeit verwendet, sondern aus schierer Geldnot. In Bolivien laufen wahrscheinlich viele Menschen mit steinharten Zahnfüllungen herum, vor allem die Kinder können sich wohl nicht einmal die Zementfüllung leisten. An den Weihnachtstagen denke ich oft an diese Kekse zurück, die sowohl die Kinder als auch mich glücklich gemacht haben, trotz Zahnschmerzen und Zahnlücken. Ein paar geteilte Kekse… manchmal braucht es gar nicht mehr für eine besinnliche Weihnacht.

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