Sport der Armen als kapitalistischer Spielball

Fußball – traditionell der Sport der Armen. Jede:r konnte mitspielen, es ging nicht um Profit, sondern um Spielfreude und Gemeinschaft. Wer Talent hatte, konnte aufsteigen und erfolgreich werden – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientierung. Doch solche Grundsätze sind den weltweiten Dachverbänden abhandengekommen. Stattdessen herrscht ein kapitalistisches Narrativ, das Turniere in ein intolerantes, menschenfeindliches Klima einbettet.

Sasin Tipchai / Pixabay

Die UEFA-Europameisterschaft hat mit Italien als Sieger des Turniers am Sonntag ein Ende gefunden. Nicht erst in diesem Jahr war der Fußball mehr als nur eine sportliche Bühne für Hochleistungen und Spannung, sondern auch – zum Teil ungewollt – eine politische Bühne voller Kontroversen und schlechter Vorbilder. Dabei könnte Fußball mit seinem weltweiten Einfluss Dinge zum Positiven bewegen. Stattdessen geht es vor allem um Geld und Macht. Der ehemalige Sport der „Armen“ hat sich zu dem der Privilegierten entwickelt. Denn der Sport, der kleine Jungs und Mädchen von den Straßen São Paulos bis Berlin zum Träumen anregte, ist zu einem Albtraum-Produkt des Kapitalismus geworden. Man kann die diesjährige EM als Beweis dafür sehen – angefangen damit, dass nicht mehr alle Spiele in öffentlichen Sendern ausgestrahlt wurden. Wer sich jedes Gruppenspiel anschauen wollte, musste per Pay-TV dafür bezahlen. Doch ist das wirklich, wofür Fußball stehen sollte? Sollte Fußball nicht ein Ereignis für alle sozialen Schichten sein, um zusammenzukommen?

Exklusives Turnier für „alle?“

Die UEFA nannte die EM im Vorhinein ein „Turnier für alle“. Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Geschlecht sollten ausgeschlossen werden. Auch die Stadt München wollte in dieser Hinsicht ein Zeichen setzen und die Allianz-Arena in Regenbogenfarben aufleuchten lassen. Die Aktion sollte beim Deutschlandspiel gegen Ungarn stattfinden, denn dort wurde wenige Tage zuvor ein Gesetz verabschiedet, das Homosexuelle diskriminiert. Gleichzeitig war Ungarn als Austragungsort für das Turnier wichtig, da dort viel weniger strenge Corona-Regeln galten und mehr Leute ins Stadion konnten. Diesen Standortvorteil wollte die UEFA nicht riskieren. Sie untersagte die Beleuchtung, angeblich aus Gründen politischer Neutralität. Aber wie kann sich ein Dachverband als neutral bezeichnen, der zum Beispiel die massiven Menschenrechtsverletzungen, unter anderem Folter und politische Verfolgung in Baku ignoriert? Statt Neutralität erweckt die UEFA den Anschein von politischer Gleichgültigkeit. Dem übergeordneten Streben nach globaler Umsatzsteigerung scheint sie alles andere unterzuordnen.

Nach massiven Protesten für die Pride- und Queer-Bewegung ruderte die UEFA zurück und veröffentlichte eine mehr oder weniger halbherzige Entschuldigung. Sie färbte ihre Social-Media-Profilbilder – zumindest auf den meisten europäischen Accounts – regenbogenfarben und schloss sich damit groteskerweise der Protestbewegung an. Das unterstreicht: Der UEFA geht es nur ums Geld. Die europaweiten Proteste waren nicht gut fürs Geschäft, also musste eine Lösung her. Aber ernst meinte die UEFA das leider nicht. Bei dem Spiel der Niederlande gegen Tschechien in Budapest beschlagnahmte die Polizei am Eingang des Stadions die Regenbogenflaggen der Fans. Ähnlich gingen auch die Stadionordner beim Viertelfinalspiel in Baku vor. Die UEFA reagierte nicht.

Dieser Fußball geht über Leichen

Die UEFA schreckt offenbar vor nichts zurück, um ihren Marktwert zu steigern. Ein weiteres Beispiel: Der Umgang mit dem Herzstillstand des dänischen Spielers Christian Eriksen. Während seiner Reanimation zoomten die UEFA-Kameras sowohl auf ihn als auch auf seine Familie – eine Verletzung ihrer Intimsphäre, ethisch völlig verwerflich.

Das Paradigma der Profitmaximierung verdrängt Spielfreude und Fair Play, gute Verlierer scheint es nicht mehr zu geben. Wenn aber den Veranstaltern des Turniers grundlegende Werte wie Menschlichkeit und Toleranz abhandenkommen, wirkt sich das über kurz oder lang auch auf die Fans aus. Die rassistischen Übergriffe in England nach dem verschossenen Final-Elfmetern kann man auch aus diesem Blickwinkel betrachten.

Ein Lichtblick für die Werte des Fußballs ist der Spielführer der deutschen Mannschaft, Manuel Neuer. Er sagte dem Fußballmagazin Kicker: „Wir stehen für Werte wie Offenheit, Vielfalt, Teilhabe und sind gegen jede Form von Gewalt, Diskriminierung und Rassismus.“ Sowohl bei Spielen vor der EM als auch während des ganzen Turniers trug Neuer eine regenbogenfarbene Kapitänsbinde und steht damit stellvertretend für die Werte ein, die in unserer Gesellschaft mittlerweile normal sein sollten. Fußball sollte für Geschwisterlichkeit stehen. Er sollte einen Raum gegen Rassismus, Diskriminierung und Korruption schaffen. Diese Grundeigenschaften des Sports sollten die Verbände in den Mittelpunkt stellen. Geld sollte nicht an erster Stelle stehen. Die anstehende Weltmeisterschaft in Katar, einer absoluten Monarchie mit diktatorischen Zügen und wenig Menschenrechten, gibt keine Hoffnung auf Besserung.

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