Old school oder New Work?

Am 30. Juni ist die „Homeoffice–Pflicht“ ausgelaufen. Die Arbeitgeberverbände begrüßen dies, die Gewerkschaften setzen sich für ein dauerhaftes Recht auf Heimarbeit ein. In Deutschland wird lieber „old school“ an der Präsenzpflicht festgehalten als auf freie Arbeitsplatzwahl und Vertrauensarbeitszeit zu setzen. Dabei könnte die Corona-Pandemie zum Motor des „New Work“ werden.

Anke Sundermeier auf Pixabay

Vor der Corona-Arbeitszeit waren viele Arbeitgeber:innen gegenüber Homeoffice bzw. Telearbeit skeptisch eingestellt, obwohl sich viele Arbeitnehmer:innen mehr Freiheit bei der Arbeitsplatzwahl wünschten. Auch wenn bereits vor der Corona-Pandemie Studien zeigten, dass Mitarbeter:innen im Homeoffice effizient(er) und in der Regel sogar mehr arbeiteten, galt und gilt weiterhin das alte Credo der Präsenzpflicht. Dabei hatten nicht nur amerikanische IT-Unternehmen wie Google, sondern auch deutsche Traditionsunternehmen wie Bosch innovative Konzepte zur flexiblen Arbeit erarbeitet. „Wenn sie die Akzeptanz vielfältiger Arbeitszeitmodelle fördern wollen, müssen sie auch überholte Denkmuster und Vorbehalte überwinden“, betonte Heidi Stock von Bosch. „Vor allem die Präsenzkultur, in der nur ein Arbeitnehmer, der ununterbrochen seinen Schreibtisch bewacht, ein guter Arbeitnehmer ist, hat ausgedient. Wir setzen auf eine Arbeitskultur, in der nicht die Anwesenheit, sondern das Ergebnis der Arbeit zählt“, verdeutlicht die Abteilungsleiterin „Talentmanagement und Diversity“.

Dieser Ansatz des „New Work“ setzt stattdessen auf Elemente wie Vertrauensarbeitszeit und „ freie Wahl des Arbeitsplatzes. Unternehmen wie Vodafone haben bereits bis in die Chefetage hinein die Zuweisung fester Arbeitsplätze aufgegeben. Die Mitarbeitenden können sich Arbeitsplätze online buchen oder von jedem beliebigen Ort mit Internetzugang arbeiten. Und dies soll auch nach der Pandemie fortgesetzt werden. Dies entspricht dem Wunsch von 70-75 Prozent der Arbeitnehmer:innen, die auch nach Corona gerne regelmäßig im Homeoffice arbeiten wollen.

Während der Corona-Pandemie hatten rund 80 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Heimarbeit gearbeitet. Oftmals erst nach der viel diskutierten „Homeoffice–Pflicht“. Der vorherige Aufruf an die Arbeitgeber:innen freiwillig die Heimarbeit auszubauen hatte nicht den erwünschten Effekt. Produktions- und Gewinnziele waren scheinbar wichtiger, als Gesundheitsschutz. Dabei können auch in der Produktion, die nach wie vor auf die Präsenz der Arbeitnehmer:innen angewiesen ist, durch Wechselschichten und Jobsharing neue Arbeitszeitmodelle eingesetzt werden. Beim Unternehmen Bosch gibt es beispielsweise rund 100 Arbeitszeitmodelle – ohne Gewinnverluste.

Die Chance zum Umdenken in der Zeitpolitik

Die Corona-Pandemie hat in vielen Unternehmen zu einem Digitalisierungsschub geführt bzw. bereits geplante Digitalisierungsprojekte beschleunigt. Viele Arbeitnehmer:innen haben jetzt erst die technischen Möglichkeiten für die Arbeit von zu Hause erhalten. Die rechtlichen Möglichkeiten waren schon länger vorhanden, sind aber nur zaghaft umgesetzt worden. Dies hatte oft nicht finanzielle Gründe, da den Arbeitnehmer:innen Arbeitsgeräte für die Telearbeit zur Verfügung gestellt werden müssten, sondern lag vielmehr an der negativen Einstellung von Führungskräften gegenüber der Aufweichung der Präsenzpflicht. Führung über Zielvorgaben anstelle über Präsenszeiten sowie Vertrauensarbeitszeit anstelle von Stempelkarten. Die Ansätze des „New Work“ bedingen zunächst ein starkes Umdenken in den Führungsetagen.

Dabei bietet die Corona-Pandemie die besten Voraussetzungen für eine neue Zeitpolitik. Grünen-Chef Robert Habeck macht sich beispielsweise für so genannte „Nudging-Projekte“ stark, bei denen nichts vorgeschrieben ist, aber attraktive Rahmenbedingungen zur freiwilligen Teilnahme bewegen. Diese könnte sowohl für Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen attraktiv sein. Abseits der viel zitierten besseren „Work-Life-Balance“ können auch Unternehmen von flexiblen Arbeitszeitmodellen profitieren, wenn Arbeitnehmer:innen weniger Krankentage aufweisen oder sich die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen besser mit den Arbeit vereinbaren lässt.

„Der Arbeitnehmer der Zukunft wird vier bis fünf Orte haben, an denen er sich regelmäßig aufhält“, betont Rainer Haueis von der Siemens Smart Infrastructure. Dies bedingt auch neue Herausforderungen für die Gestaltung von Bürogebäuden sowie die digitale mobile Infrastruktur von Unternehmen. Austausch mit Kolleg:innen im Büro, konzentriertes Arbeiten im Homeoffice und kreatives Arbeiten an „third Places“ wie „Co-Working-Spaces“, die derzeit einen regelrechten Boom erleben, sind einige der Wahlmöglichkeiten des „New Work“.

Diese „Arbeit 4.0“ würde auch Deutschland als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort stärken. Dazu bedarf es aber eines Umdenkens – nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei Gewerkschaften, die den Erhalt von mobilen Arbeitsplätzen über den Erhalt von Standorten setzen sollten. Zudem wird eine verbesserte Absicherung von Telearbeit benötigt, die die dort geleistete Arbeit arbeitsrechtlich und versicherungsrechtlich gleichwertig zu Präsenzarbeit stellt.

Der Wert einer Arbeit sollte zukünftig nicht mehr am Standort der Erbringung, sondern an dessen Qualität sowie dem Mehrwert für die Kund:innen und die Unternehmen gemessen werden. Dafür bedarf es aber auch einer Netzpolitik, die den Ausbau des Glasfaserinternets und der Mobilfunknetze flächendeckend voranbringt, um die Voraussetzungen für Telearbeit für alle zu ermöglichen. Zudem sollte durch Preisbremsen dafür gesorgt werden, dass schnelles Internet nicht eine Frage des Geldbeutels ist.