100 Tage Bundesregierung: „Zeit, dass sich was dreht“

Nach den 100 Tagen der schwarz-roten Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz zogen die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ein gemischtes Fazit. In zentralen Themenfeldern gibt es Differenzen, zudem sei vieles erst noch auf dem Weg. Was Herbert Grönemeyer besang, gilt jetzt: „Es wird Zeit, dass sich was dreht.“

Das Verhältnis zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche gegenüber der neuen Bundesregierung war zu Beginn „angeschlagen“. Hintergrund waren mahnende Worte der Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prälatin Anne Gidion und ihrem katholischen Counterpart Prälat Karl Jüsten, im Umfeld des CDU-Parteitags im Februar 2025, über die unter anderem der „Stern“ berichtete (Eklat bei Gottesdienst: Die CDU ist schwer nervös). Danach versuchten beide Seiten, „die Wogen zu glätten“, was allerdings durch kirchenkritische Stimmen der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner gleich mehrfach torpediert wurde.

Umgang mit der AfD als „Lackmustest“

In einer Predigt vor dem CDU-Parteitag 2025 machten beide Kirchen deutlich, wie groß ihre Sorge wäre, sollte die neue Bundesregierung mit Stimmen der AfD gemeinsame Sache machen. Prälat Jüsten erinnerte Bundeskanzler Merz dabei persönlich an dessen öffentliches Bekenntnis, eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch auszuschließen: „Dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite“. Ein Schulterschluss mit rechts-populistischen oder nationalistischen Kräften sei für beide Kirchen ein klares "No-Go". Dies trat aber später teilweise tatsächlich ein, sodass das Verhältnis zwischen Kirchen und insbesondere den beiden Parteien mit dem „C“ im Namen, CDU und CSU, (in der Ministerpräsident Söder gegen die Kirchen austeilte) weiter als „angespannt“ bezeichnet werden kann.

Warum die Aufregung, CDU/CSU?

Für den Autor stellt sich die Frage: „Warum die Aufregung, CDU/CSU?“

Dass die beiden christlichen Kirchen in Deutschland zum Beispiel im Bereich der Migrations- und teilweise der Sozialpolitik andere Meinungen haben, ist bekannt und nicht neu. Ebenso nicht, dass die Kirchen „mehr Tempo“ im Bereich Umwelt- und Klimaschutz fordern. Anstelle in einen konstruktiven Dialog zu treten – wie es sich für eine Bundesregierung egal welcher Couleur eigentlich gehört –, wurde mit teils scharfen Worten – ganz bewusst – die Konfrontation gegen die beiden Kirchen gesucht.

Dies zeichnete sich bereits im letzten Jahr beim Katholikentag 2024 ab, als – trotz Einladung des Veranstalters – kein hochrangiger CDU-Politiker an einem Podium teilnahm (und Friedrich Merz stattdessen einen Empfang der KAS in Erfurt besuchte) und wurde 2025 durch die kirchenkritischen Worte von Klöckner und Söder fortgesetzt.

Anerkennung der Kirchen gibt es für die Haltung zahlreicher Kabinettsmitglieder, die bei ihrer Vereidigung die Formel „So wahr mir Gott helfe“ wählten. „Daraus spricht Demut und Zuversicht“, so Jüsten. Die Kirchen sehen dies als Zeichen, dass Werteorientierung Teil des Selbstverständnisses der neuen Regierung ist, wie Jüsten in einer Umfrage des Verlags Table Media betonte, über die katholisch.de und domradio.de berichteten.

Fazit: Abrüstung und Dialog anstatt Konfrontation

Die neue Bundesregierung von CDU, CSU und SPD braucht die Unterstützung der beiden christlichen Kirchen, um ihre Politik den Menschen in Deutschland, die aufgrund der langsamen Reformen immer ungeduldiger werden, zu vermitteln. Und beide Kirchen (EKD sowie DBK) benötigen wiederum die Bundesregierung unter Vorsitz von Bundeskanzler Friedrich Merz, um ihre kirchenpolitischen Themen in der Politik zu platzieren. Sicherlich kann es dabei für alle Beteiligten (besonders für eine eigentlich überparteiliche Bundestagspräsidentin) hilfreich sein, in Tonfall und Wortwahl „abzu-rüsten“, wie es auch Papst Franziskus Anfang 2025 gegenüber katholischen Journalist:innen forderte.

In Herbert Grönemeyers Fußball-Hymne heißt es im Refrain: „Zeit, dass sich was dreht“. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen den Kirchen und der neuen Bundesregierung sowie genauso für deren „Agenda“ nach 100 Tagen Amtszeit. Bundeskanzler Friedrich Merz muss zeigen, dass er es wirklich ernst meint mit der „Nicht-Zusammenarbeit“ mit der AfD im Deutschen Bundestag. Außerdem, dass er nicht nur seine eigene Partei als CDU-Vorsitzender im Blick hat, sondern auch auf gesellschaft-liche Gruppierungen, wie die Kirchen, stärker zugeht. Mehr Gelassenheit und Dialog anstatt Konfrontation und Konflikt.

Sonst droht – wie in den USA – eine Spaltung der Gesellschaft, die aus Sicht des Autors nur dann abgewendet werden kann, wenn Kirchen und Politik an einem Strang ziehen. Dass es dabei auch mal Meinungsverschiedenheiten gibt, ist völlig normal. Wichtig ist aber, dass CDU/CSU und SPD dies nicht als Gefahr, sondern auch als Chance, sehen und die Kirchen ihren Beitrag für Abrüstung und Dialog anstatt Konfrontation leisten.

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Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber von kath.de)