Wem nützt Gendern – was schadet es?

Das Gendern der deutschen Sprache erhitzt die Gemüter. Die einen beklagen einen Verfall der deutschen Sprache, die anderen sehen in genau jener Gründe für die Diskriminierung von Minderheiten. Warum polarisiert das Thema Gendern so sehr und welche Argumente bringen die jeweiligen Seiten zur Sprache?

Springer-Verlag / Cover / Montage: kath.de

Zentrales Thema der Debatte ist die sprachliche Sichtbarkeit von Frauen und non-binären Personen gegenüber Männern. Die Erkenntnis, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, ist nicht neu und wird schon seit Jahrzehnten erforscht. Hier gab die Frauenbewegung der 1950er Jahre den Anstoß. Erstmals wurde zwischen dem Geschlecht („gender“), dessen Merkmale durch soziale und politische Strukturen geprägt werden, und dem biologischen Geschlecht („sex“) unterschieden. Sprachlich wurde ein drittes Geschlecht bisher jedoch nicht berücksichtigt. Deshalb fordern auch transsexuelle bzw. intersexuelle oder nicht-binäre Menschen eine Sprache, die sie klar mit benennt.

Sichtbar oder unsichtbar

In seinem Buch „Von Menschen und Mensch*innen“ beschreibt Fabian Payr „20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören“ (Springer, Wiesbaden 2021). Das generische Maskulinum bezeichne nicht spezifisch Männer, sondern Menschen. Aus Payrs Sicht gibt es keine belastbaren Studien, dass Menschen beim Lesen oder Hören des generischen Maskulinums vorrangig an Männer, überhaupt an eine bestimmte Person dächten. Demnach seien Frauen auch nicht unsichtbar oder bloß mitgemeint, sondern genauso sichtbar wie Männer. Das generische Maskulinum sei eine geschlechtsneutrale Form mit möglicher spezifischer Verwendungsweise, während die Wortendung “-in” immer eine weibliche Person bezeichne. Demnach sei es sprachlich einfacher, eine Frau sichtbar zu machen, als einen Mann. Entscheidender ist für Payr der Kontext, in dem das Wort verwendet wird. Auf die Frage “Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler?” sei die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit ein männlicher Name. Durch eine Umformulierung werde die Frage jedoch geschlechtsneutral. Bei “Wer sind Ihre Lieblingsschauspieler?” bleibe das Subjekt als generisches Maskulinum bestehen, werde jedoch in seinem eigentlichen Sinn deutlich.

Ein anderes Beispiel: Wenn ich von einem Lehrerzimmer spreche, ist jeder Person klar, dass in diesem Raum nicht nur das männliche Lehrpersonal sitzt, sondern auch der Rest des Kollegiums. Ein Lehrer*innenzimmer ist für den eigentlichen Gehalt des Wortes nicht notwendig. In der Schriftsprache verkompliziert es die Texte, kann zu Verwirrung führen.

Sexistisch und undemokratisch?

Ein weiterer Grund, der laut Payr gegen das Gendern spricht: Gendern sei sexistisch, da es Menschen auf ihr Geschlecht reduziere. Es entstehe eine Trennung der Geschlechter, eine Ausdifferenzierung, die eher Abgrenzung als Gemeinschaft fördere, genau das Gegenteil von dem, was Gendern eigentlich bewirken möchte. Statt einer sprachlichen Reform brauche es daher Vorbilder, sichtbare Präsenz der entsprechenden Minderheiten in öffentlichen Räumen. Es gebe keine wissenschaftlichen Beweise, dass eine bloße Änderung der Grammatik eine Veränderung in der Gesellschaft bewirke. Vielmehr gelte es, durch konkretes Wirken ein Bewusstsein zu schaffen, dass Menschen jeden Geschlechts alle Möglichkeiten haben, beispielsweise einen bestimmten Beruf zu ergreifen.

Aus meinem persönlichen Umfeld höre ich, man fühle sich von dem Thema überrollt und habe Angst vor einer sprachlichen Bevormundung. Es habe keine ausreichende öffentliche Debatte gegeben, die einen solch großen Eingriff in die Sprache hinreichend diskutiert beziehungsweise Aufklärung darüber geleistet hätte. Fabian Payr schreibt, Gendern sei undemokratisch und spalte die Gesellschaft. Die Praxis der Verpflichtung zum Gendern in öffentlichen Räumen wie Behörden und öffentlich-rechtlichen Medien sei nicht demokratisch legitimiert. Umfragen zufolge spricht sich eine Mehrheit von 65% der Bevölkerung gegen eine gendergerechte Sprache aus (Infratest Dimap 2021). Frauen stehen dem Gendern zwar positiver gegenüber als Männer, jedoch lehnen auch von ihnen 59% eine gendergerechte Sprache ab. Diese Mehrheit dürfe, laut Payr, nicht übergangen werden, vor allem, wenn es um etwas so allgemeingültiges wie Sprache geht.

Pausen, Sterne, Barrierefreiheit

Zudem sei Gendern inkonsequent, so Payr. Es habe keine belegbar positive Wirkung in Bezug auf Geschlechtergleichheit in der Realität gezeigt, zudem sei es auch sprachlich „nutzlos“. Payr bezieht sich insbesondere auf die Unterschiede von Schriftsprache und gesprochener Sprache. Gendern könne beim Hören zu Missverständnissen führen, wenn die durch den sog. “Genderstern” (Asterisk) implizierte Gender-Pause nicht deutlich artikuliert und ausschließlich die weibliche Form verstanden werde. Das würde zur Ausgrenzung aller nicht-weiblichen Personen führen. Zudem erschwere es die Lesbarkeit der Sprache, insbesondere für Kinder und Migranten, die noch lesen lernen müssen. Des Weiteren könne es nicht konsequent durchgeschrieben werden, da sich manche Begriffe nicht gendern lassen oder dies zu einer Verlängerung des Wortes führen würde.

Die meisten Arten zu gendern, ob mit Sternchen oder Doppelpunkt, sind nicht barrierefrei. Besonders für körperlich oder psychisch eingeschränkte Person wird der Zugang zur Sprache erschwert. Brailleschrift und Gebärdensprache müssten auch gendergerecht werden. Bei sehbehinderten Menschen findet das Lesen vor allem über das Hören, Vorlesen statt. Nicht klar artikulierte Genderformen führen zu Verständnisproblemen. Auch für autistische Personen oder Menschen mit Lernbehinderung sind klare und eindeutige Satz- und Wortformen wichtig. Fehlen diese aufgrund von genderbedingtem Wort- und Satzbau, entstehen Unsicherheiten.

Diskriminierte Minderheiten ernstnehmen

Ist eine gendergerechte Sprache also schlichtweg nicht nötig? Das kann man so nicht sagen, denn offenbar hat ein Anteil an Frauen und anderen nicht-männlichen Personen das Gefühl, auch durch oder aufgrund von Sprache von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein und die eigene Identität nicht zum Ausdruck bringen zu können. Diese Gefühle darf man nicht kleinreden oder ignorieren.

Die Gender-Diskussion findet nicht nur in Deutschland statt, weltweit wird über eine inklusivere Sprache nachgedacht. Das gestaltet sich mal einfacher, mal schwerer. Vorreiter sind englischsprachige Länder, dort hat man sich schon auf neutrale Bezeichnungen geeinigt, beispielsweise mit Wörtern wie „firefighter“ statt „fireman“. Im Französischen ist gendergerechte Sprache schwieriger, da auch Adjektive und Verbformen angepasst werden müssen. Für die deutsche Genderdebatte können diese unterschiedlichen internationalen Entwicklungen durchaus als Inspirationen genutzt werden.

Weiterlesen zum Thema auf unseren Portalen:
- Gender und Dreifaltigkeit
- Gender – auf der Suche nach Identität

Das im Kommentar erwähnte Buch von Fabian Payr bei Amazon:
Von Menschen und Mensch*innen: 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören

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