Synode und Maria 2.0: Warum Kampf um die Macht

Im Synodalen Prozess der katholischen Kirche ist Macht ein zentrales Thema, noch einmal fokussiert durch den Thesenanschlag der Frauen. Macht ist etwas Handfestes. Wer über Macht spricht, will sie meist auch haben. Warum wollen die im Zentralkomitee organisierten Katholik:innen Macht von den Klerikern abzweigen? Dazu die These dieses Kommentars: Weil sie ihren gesellschaftlichen Einfluss aufgegeben haben und daher auch von den Bischöfen nicht mehr ernst genommen werden.

Foto: explizit.net E.B.

Wenigstens noch Macht in der Kirche

Es ist vom „Versagen der Kirche“ die Rede. Daran seien die Priester Schuld. Deshalb müssen die Priester entmachtet werden, damit die Kirche wieder auf die Beine kommt. Aber es ist nur ein Teilbereich der Kirche, in dem die Lai:innen noch nicht die Macht übernommen haben. Der Kindergarten neben der Kirche floriert, im katholischen Krankenhaus wird man gut versorgt. Und die Priester in den Orden haben erst einmal nur als Vorgesetzte Macht, oder wenn sie als Leiter einer Einrichtung oder von einem Bischof als Pfarrer eingesetzt wurden. Auch die Diözesan-Priester haben erst dann Macht, durch die sie über Personal und Finanzen bestimmen, wenn sie leitende Pfarrer geworden sind.

Caritas und Ordenspriester werden exkommuniziert

Hier die These 2 von Maria 2.0: „In unserer Kirche haben alle teil am Sendungsauftrag; Macht wird geteilt. Denn der Klerikalismus ist heute eines der Grundprobleme der katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch mit all seinen menschenunwürdigen Facetten.“

Geht es in den Caritaseinrichtungen und Kindergärten so unmenschlich zu? Und wo sind die Machtfelder der Ordenspriester? Auf jeden Fall sind die Aussagen von Zentralkomitee und Maria 2.0 unzutreffend, wenn sie ihre Anklagen gegen „die Kirche“ richten. Ein begrenzter Bereich der Kirche hat im Moment große Schwierigkeiten. Durch dieses pauschale Urteil wird zu Unrecht der größere Teil der kirchlichen Aktivitäten schlecht geredet, die doch sehr gut funktionieren.

Ich gehöre als Priester zum Jesuitenorden. Die Leitungskultur hat sich wie in den anderen Orden sehr zum Positiven entwickelt. Gab es früher Klerikalismus auch gegenüber den Laien im Orden, ist das durch das Konzil überwunden. Viele Einrichtungen, für die der Orden Träger ist, so z.B. beide Hochschulen und die Gymnasien, werden von Nicht-Jesuiten geleitet. Wir wollen allerdings, dass die Verantwortlichen entscheiden, damit wir in Ruhe unsere wissenschaftliche, pastorale, Bildungs- und Beratungsarbeit machen können. Unsere Chefs machen auch Fehler, aber von einem generellen Machtmissbrauch reden wir in unseren Reihen nicht. Der sexuelle Missbrauch, der in unseren Reihen auch vorkam und vertuscht wurde, war, da mit Abhängigen auch Machtmissbrauch. Da ich aus vielen Leitungstrainings leitende Pfarrer über Jahre kennengelernt habe, kann ich sagen, dass diese weder machthungrig noch von klerikalen Allüren getrieben sind. Das zeigt ein Vergleich mit anderen Unternehmen. Dort streben die meisten Geschäftsführer danach, über einen größeren Bereich bestimmen zu können. Bei Pfarrern habe ich dieses Karrierebewusstsein nicht angetroffen. Deshalb würde ich erwarten, dass das Zentralkomitee der Katholiken und Maria 2.0 Befragungen durchführen, wo sich die zunehmende Klerikalisierung und der Machtmissbrauch zeigen. Das können ihre eigenen Gemeinden beantworten. Denn in jeder Pfarrei gibt es ein gewähltes Gremium, dem der Pfarrer nicht vorsteht. Diese Gremien entsenden Vertreter:innen in das zentrale Komitee, das seit 1848 die Aktivitäten der Lai:innen zusammenführt. Die Pfarrer verbringen sehr viel mehr Zeit als früher in Gremien. Hat sich das Zentralkomitee um die Qualifikation dieser Gremien gekümmert, z.B. zur Überwindung der meist unbeholfenen Leitung? Faktisch gehen Pfarrer und andere Seelsorger:innen in die Sitzungen, damit ihre Vorschläge Unterstützung finden. Nach meiner Beobachtung könnten die Gremien sehr viel mehr eigene Projekte auf den Weg bringen. Das haben früher die Verbände gemacht, nicht auf Anweisung der Kleriker. Da die Gremien eher abwarten, was die Hauptamtlichen sich ausgedacht haben, ist für die Pfarrer das Team der Hauptamtlichen wichtiger. Meist gibt es wöchentlich eine Teamsitzung, der Pfarrgemeinderat trifft sich allenfalls monatlich. Wenn Machtmissbrauch und Klerikalisierung solche dramatischen Ausmaße angenommen haben, dann gab es doch Gegenkräfte, die nicht im Untergrund tätig werden mussten, sondern eigene, offizielle, von den Gläubigen gewählte und nicht von Klerikern eingesetzte Gremien zur Verfügung hatten.

Das Zentralkomitee hat ein Machtvakuum entstehen lassen

Warum beklagen die Lai:innen Machtmissbrauch, wenn sie doch Einflussmöglichkeiten haben? Sie hätten doch auch als Eltern, Erziehrinnen, Lehrerinnen, Therapeutinnen früher eingreifen können. Wenn der dieser mit Macht verbundene Missbrauch so groß war, mussten doch viele ihn bemerkt haben. Meine These: Sie kompensieren den Bedeutungsverlust des Zentralkomitees. Die Macht, die sie früher hatten, ist tatsächlich zu den Bischöfen gewandert. Nach meiner Beobachtung nicht deshalb, weil die Bischöfe das Zentralkomitee entmachtet hätten, sondern weil die Lai:innen selbst ihre Machtbasis, ihren früheren gesellschaftlichen Einfluss, nicht mehr erkämpft haben. Irgendwie scheint das endlich in dem Gremium selbst bewusst geworden zu sein. Man redet ja nicht ohne Motiv so offen über Macht, wenn man sie nicht jemand anderem wegnehmen will. Es scheint ein einfaches Motiv zu geben: Das oberste Laiengremium ist praktisch ohne Einfluss.

Das Zentralkomitee war mal produktiver

Ich kenne noch die Zeiten, als die gesellschaftlichen Optionen im Zentralkomitee der Katholiken entwickelt und über die CDU umgesetzt wurden. Die Dynamische Rente gehört dazu, aber auch die vielen Einfamilienhäuser. Nicht nur in der DDR, auch die Neue Heimat hat große Mietshäuser hingestellt und nicht das Wohneigentum gefördert. Das ist der Einfluss der Katholischen Soziallehre aus der verteufelten Adenauerzeit. Auch die Rolle der Wohlfahrtsverbände ist ohne diese Soziallehre nicht denkbar und wurde damals vom Laiengremium umgesetzt. Als ich 1982 zum ZDF kam, hatte ich noch das Bild vom gesellschaftlich einflussreichen Laienkatholizismus vor Augen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass die Redaktionen nicht auf die Laienvertretung schauten, sondern auf die Bischofskonferenz. Ich kann auch keine Initiative nennen, die in den letzten 40 Jahren von dem obersten Laiengremium in der Gesetzgebung oder in der Gesellschaft nachhaltig etwas bewirkt und damit das Interesse der Medien geweckt hätte. Das Zentralkomitee wirkt in die Kirche hinein, nicht mehr in die Gesellschaft. Interne Kritik ist kein Thema, mit dem man auf Dauer in der Öffentlichkeit ernst genommen wird. Wenn nur noch die Bischöfe und der Papst zu gesellschaftlichen Fragen Position beziehen, dann geht es eben dem Zentralkomitee wie der FDP. Man weiß nicht mehr, wofür es eigentlich da ist.

Die These 7 von Maria 2.0 hat seit 1848 für die Katholiken gegolten. Sie lautet: „Unser Auftrag ist die Botschaft Jesu Christi. Wir handeln danach und stellen uns dem gesellschaftlichen Diskurs. Denn die Kirchenleitung hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Sie schafft es nicht, sich überzeugend Gehör zu verschaffen und sich im Sinne des Evangeliums für eine gerechte Welt einzusetzen.“

Das schafft das Zentralkomitee noch viel weniger als früher. Die Stimme des Laienkatholizismus wird deshalb von außen nicht mehr gehört, weil es keine Initiativen mehr gibt, die nicht nur als Resolution, sondern mit Einfluss in die Gesellschaft hinein wirksam gemacht werden. Wenn man 50 Jahre lang die Abschaffung des Zölibats als erste Reformforderung formuliert, dann wird man für die Medien langweilig. Wer die Thesen von Maria 2.0 liest, wird Neues dort kaum entdecken. Die Schlussfolgerung ist dann einfach zu formulieren:

Das Zentralkomitee hat seine Macht verloren und müsste sie sich zurückholen. Aber das will man offensichtlich nicht, sondern den verlorenen Einfluss anderswo zurückgewinnen, nämlich indem man von den Bischöfen und leitenden Priestern Macht abzweigen will. Die Schwäche der Bistumsleitungen scheint nahezulegen, dass man die Situation nutzt, um mehr Einfluss in deren Bereich zu gewinnen. Aber warum sich da Macht holen, wo sie gerade verspielt wird? Hat etwa das Zentralkomitee die den Klerikern fehlenden Ideen, wie man die Pfarrei-Kirche besser machen könnte, um die jüngeren Jahrgänge für Liturgie und Spiritualität zu gewinnen? Maria 2.0 und den Mitgliedern des Zentralkomitees ist nicht klar, dass sie mit dem synodalen Prozess die Verantwortung für diesen zusammenbrechenden Bereich in der Kirche Deutschlands übernommen haben. Wo sind ihre Ideen, wie das Leben in den Pfarreien wieder auf die Beine kommt? Warum lassen sich immer weniger Gemeindemitglieder bewegen, sich für die Wahlen zu den pfarrlichen Gremien aufstellen zu lassen? Nur wenn die ideenreichen Mitglieder einer Pfarrei in die Gremien gewählt werden, gibt es auch neue Ideen.

Warum keine Einflussnahme in der Missbrauchsfrage

Zur Missbrauchsproblematik hätte nach meiner Einschätzung das oberste Laiengremium effektiver eingreifen müssen. Es hätte früher das therapeutische Know-how in den eigenen Reihen aktiviert und das direkte Gespräch mit den Amtsträgern genutzt werden müssen. Dass man etwas bewegen kann, zeigt die Gründung von Renovabis, die auf das Laiengremium zurückgeht. Warum hat man kein Institut bzw. Klinik ins Leben gerufen, um die Opfer, aber auch die Täter zu therapieren? Könnte es sein, dass die Laien sich früher sehr viel mehr getraut? Warum lässt man Bischöfe, die offensichtlich mit dem Problem nicht fertig werde, allein? Früher hätten Laien eingegriffen, nicht mit Presseerklärungen, sondern direkt – weil sie eben Einfluss aufgebaut hatten. Die Macht lag nicht nur, wie heute, in der persönlichen Autorität, sondern in den Verbänden.

Die Verbände waren weitgehend von Priestern unabhängig

Das Zentralkomitee ist aus der Revolution 1848 hervorgegangen und fungierte als Dachverband der Katholiken. Es ist selbst als e.V. organisiert und nannte sich zuerst „Katholischer Verein Deutschlands“. In den Verbänden waren Priester zwar in der Leitungsebene tätig, aber nicht hierarchisch, sondern in den Vorstand eingebunden. Dieses Modell ist dann auf die Pfarreiebene übertragen worden. Der Pfarrer ist nicht Vorsitzender des Pfarrgemeinderates.

Genau das war einmal die Kraft die Zentralkomitees. Die Katholikentage, die inzwischen zu Kirchentreffen geworden sind, endeten früher nicht mit der Messe, sondern mit der Proklamation der gesellschaftlichen Forderungen und Vorschlägen. Diese öffentliche Veranstaltung am Nachmittag des letzten Tages wurde vom Fernsehen übertragen und dann vom Zentralkomitee eingestellt. Deshalb kommt in den Nachrichten die Predigt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz und nicht die Rede des Präsidenten des Zentralkomitees. Der Wandel vom katholischen Podium, das sich an die Gesellschaft richtet, zum innerkirchlichen Reformkongress geschah bereits beim Essener Katholikentag 1968. Das ist so, als würde ein Parteitag sich nur mit der Organisation der Partei beschäftigen. Das wird für die Medien auf die Dauer langweilig. Wir leben in einem Umbruch der Arbeitswelt, werden von Google und Facebook überwacht, haben riesige Bildungsdefizite, müssen eine alternde Gesellschaft finanzieren, eine multikulturelle Kirche in einer multikulturellen Gesellschaft werden.

Es geht nicht nur theoretisch um Macht

Wenn man die letzten 50 Jahre Revue passieren lässt, haben die katholischen Lai:innen innerhalb der Republik erheblich an Einfluss verloren, weil sie seit Jahren in der Gesellschaftspolitik über Resolutionen nicht hinauskommen. Früher haben die Laien dafür gesorgt, dass auch umgesetzt wurde, was sie für richtig hielten. Weil das Zentralkomitee kein Einflussfaktor mehr ist, hat es die Aufmerksamkeit der Medien eingebüßt. Da es seit 40 Jahren auf den gleichen Thesen „sitzengeblieben“ ist, zieht es immer weniger öffentliches Interesse auf sich. Das führte, so meine Beobachtung, dazu, dass auch die Bischöfe das Zentralkomitee nicht mehr als so gewichtig einschätzen. Sie haben über die katholischen Büros Einfluss aufgebaut, der früher über katholische Parlamentarier und Minister möglich war. Das, was in These 7 gefordert wird, war seit 1848 die Realität des Katholizismus: Da haben sich die Lai:innen Gehör verschafft. Deshalb der Rat an Maria 2.0 und das Zentralkomitee: Macht Euch gesellschaftlich bemerkbar, beteiligt Euch an der Lösung von Problemen, so beim Missbrauch, hört auf, Resolutionen zu formulieren, ohne die Umsetzung sicherzustellen. Holt Euch die Macht zurück, die Ihr früher hattet – und werdet jünger. Nach Corona müssen die Millennials ins Boot geholt und deren Themen aufgegriffen werden. Dann braucht ihr nicht um Macht in der Kirche zu kämpfen, sie fällt Euch sowieso zu, weil kaum noch jemand Priester werden will.

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