Neues Jahr, katholischer US-Präsident

Aus dem ersten katholischen Vizepräsidenten wird der zweite katholische Präsident. Katholiken bilden ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung. Was bedeutet die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten für Katholiken? Religiosität ist in den USA politisch. Kann Biden seinen katholischen Glauben für seine Politik nutzen?

Petty Officer 1st Class Chad J. McNeeley, USN, Public domain, via Wikimedia Commons

Als vor 60 Jahren John F. Kennedy als erster Katholik Präsident der Vereinigten Staaten wurde, waren die Debatten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch andere: Kann ein Katholik das überhaupt? Muss man nicht fürchten, dass er Weisungen aus Rom eine höhere Bedeutung beimisst als der amerikanischen Verfassung? Wie sich in Kennedys kurzer Amtszeit zeigen sollte, waren diese Sorgen unberechtigt. Aus heutiger Sicht scheinen sie beinahe lächerlich. Dennoch zeigen sie, welche Rolle die religiöse Identität in der amerikanischen Politik spielt.

Katholiken kamen später

Die USA sind eine protestantisch geprägte Nation. Das hat mit der Geschichte des Landes und seinem Gründungsmythos zu tun. Die „Pilgrim Fathers“ waren als puritanische Protestanten und durch die Church of England vertrieben worden. Sie besiedelten das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von der „Alten Welt“ aus.

Katholiken spielten dagegen erst später in der amerikanischen Geschichte eine Rolle. Heute wird der Katholizismus besonders mit zwei ethnischen Gruppen in Verbindung gebracht: Iren flohen besonders im 19. Jahrhundert vor den Hungersnöten ihrer Heimat in die neue Welt. Latinos, Menschen aus Zentral- und Südamerika, zieht es sogar bis heute in die USA. Beide Gruppen haben eines gemeinsam: Sie gelten als arm und bildungsfern. Dieses Bild wird wohl nicht so schnell verschwinden.

Das Klischee vom armen katholischen Einwanderer

Erst 2018/19 war eine große Gruppe Flüchtender aus Zentralamerika bis nach Tijuana, an die mexikanisch-amerikanische Grenze gezogen. Von dort aus hatten sie versucht, nach Kalifornien zu gelangen. Die amerikanische Regierung unter Donald Trump antwortete mit Soldaten und der Aussetzung des Asylrechts. Trump hatte schon zuvor versucht, sich mit einer besonders harten Politik an der Grenze zu Mexiko zu profilieren, Stichwort: Mauer. Diese Politik richtet sich gegen Menschen, von denen viele katholisch sind. Ihre Konfession ist zwar nicht der Grund für Trumps harte Linie, dennoch verfestigt sich so das Bild vom armen Katholiken.

Kennedy war weit entfernt von diesem Klischee. Joe Biden entstammt dagegen ärmeren, oder zumindest durchschnittlicheren Verhältnissen als viele andere amerikanische Politiker. Käme er aus der Unterschicht, hätte er wohl kaum Präsident werden können. Doch schon in seiner Zeit als Senator des Bundesstaates Delaware galt er als eines der „ärmsten“ Mitglieder des amerikanischen Oberhauses. Aufgewachsen in der „Rust Belt“-Stadt Scranton, groß gezogen von einer alleinerziehenden Mutter, studierte Biden auch nicht an einer Elite-Universität, sondern besuchte eine staatliche Bildungseinrichtung und beendete seine akademische Laufbahn mit einem durchschnittlichen Abschluss.

Messbesuch auch im Wahlkampf

Für Biden ist der Glaube ein wichtiger Teil seiner Identität, so zumindest stellt er es dar. Sein Bekenntnis wirkt authentisch, gerade wenn man bedenkt, welche Schicksalsschläge er in seinem Leben erleiden musste. Seine erste Frau und seine Tochter starben bei einem Autounfall, sein Sohn Beau an Krebs. Während des Wahlkampfes soll Biden immer wieder in Städten, in denen er Station machte, die Sonntagsmesse besucht haben. Zwar scheint er darauf geachtet zu haben, sich dabei kaum den Kameras der Journalisten auszusetzen, dennoch dürfte seine Frömmigkeit bei den Wählern gut angekommen sein.

In Deutschland interessiert es kaum jemanden, welcher religiösen Gruppe Politiker:innen angehören. Das gilt selbst für die große Volkspartei mit dem „C“ im Namen. Hier wird zwar ein explizites Bekenntnis zum christlichen Menschenbild verlangt. Was das aber konkret bedeutet und wie damit im Privatleben umgegangen wird, bleibt den einzelnen Mitgliedern selbst überlassen. Allerdings ist die Situation hierzulande auch weniger kompliziert als auf der anderen Seite des Atlantiks: Die allermeisten Protestanten sind in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) organisiert. Zusammen mit der stark zentralisierten katholischen Kirche nimmt sie eine dominante Stellung in Deutschland ein.

Politiker als Repräsentanten ihrer Religion

In den USA dagegen sind besonders die Protestanten zersplittert. Baptisten, Methodisten, Quäker: Sie alle bieten unterschiedliche Interpretationen christlicher Lehren an. Dazu kommen weitere Gruppen, etwa die Mormonen. Zwischen diesen Religionsgemeinschaften herrscht in vielen Fragen kein Konsens, anders als bei den Mitgliedskirchen der EKD. Selbst zwischen EKD und katholischer Kirche könnte man in Deutschland von einem Konsens bei vielen Themen sprechen.

In den USA dagegen setzen Kirchen meist auf einen starken Markenkern, um sich anderen Gegenüber abzugrenzen. Das erklärt, woher das Interesse der Öffentlichkeit an der religiösen Zugehörigkeit von Politikern rührt: Die Mitgliedschaft in einer Kirche sagt etwas Konkretes über das Menschenbild einer betreffenden Person aus. Das Menschenbild unterscheidet sich in den Vereinigten Staaten von Kirche zu Kirche teilweise sehr stark.

Bidens „katholisches“ Menschenbild

Im Falle Joe Bidens hat der Streit über sein Menschenbild bereits vor Amtsantritt zu Konflikten mit seiner Religion geführt. Nur wenige Tage nach seinem Wahlsieg kritisierten die katholischen amerikanischen Bischöfe Bidens als liberal wahrgenommene Haltung zum Thema Abtreibung. Der Erzbischof von Los Angeles fürchtete, Bidens Einstellung in der Frage könne zu „Konfusionen unter den Gläubigen“ darüber führen, „was die Kirche in diesen Fragen lehrt“. Dieser Aussage liegt die Vorstellung zugrunde, dass Politiker:innen öffentliche Repräsentanten ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft sind. Auch das zeigt die Besonderheit der amerikanischen Zustände: Kaum jemand käme in Deutschland auf die Idee, dass man die Aussagen von Armin Laschet mit dem offiziellen Kurs der katholischen Kirche verwechseln könnte.

Dieser Konflikt Bidens mit dem Menschenbild der katholischen Kirche zeigte sich bereits am Wahlergebnis. Zwar konnte er eine Mehrheit der katholischen Wähler auf sich vereinigen, im Gegensatz zur protestantischen Hillary Clinton vor vier Jahren. Sein Vorsprung auf Donald Trump in dieser Wählergruppe war allerdings alles andere als komfortabel. Laut Nachwahlbefragungen von CNN stimmten 52 Prozent der Katholiken für Biden, 47 Prozent dagegen für Trump.

Politische und religiöse Spaltungen überwinden

Das dürfte auch auf Bidens liberale Haltung in der Abtreibungsfrage zurückzuführen sein. Katholiken waren seit jeher eine treibende Kraft der Pro-Life-Bewegung, zum Schutz des ungeborenen Lebens. Das war noch kein großes Problem, als die Demokraten noch die konservativere der beiden großen amerikanischen Parteien waren. Spätestens jedoch mit Ronald Reagens Versuch, evangelikale Wähler an die Republikaner zu binden, wurden die Katholiken zu einer gespaltenen Gruppe. Denn wie viele Katholiken lehnen auch Evangelikale Abtreibungen ab. Deshalb stellten die Republikaner auf eine abtreibungsfeindliche Politik um und gewannen so auch viele Stimmen aus dem katholischen Lager. Diese Politik wird auch von Donald Trump weitergeführt. Entlang der Frage, ob eine Frau ein ungeborenes Kind abtreiben darf oder nicht, verläuft auch die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Das Bedürfnis der amerikanischen Kirchen nach Abgrenzung untereinander könnte einen Teil dazu beigetragen haben.

Eigentlich könnte die katholische Kirche durch ihre Größe und ihre integrative Kraft helfen, Spaltungen zu überwinden. Kann Joe Biden diese Mammutaufgabe bewältigen, die schismatischen Zustände auflösen? Als Katholik hat er eigentlich die besten Voraussetzungen dafür.