Schwache Polizei, schwache Politik

Eine Aufrüstung der Polizei, etwa mit Elektroschock-Pistolen, würde Probleme eher verstärken als sie zu lösen. Der Umgang mit den Krawallnächten von Stuttgart und Frankfurt sowie mit anderen Demonstrationen zeigt: Um Randalierern angemessen zu begegnen, braucht es nicht Aufrüstung, sondern politischen Willen.

Peter H auf Pixabay

An drei Standorten in Deutschland läuft seit August 2020 ein Pilotprojekt, in dem Polizisten zusätzlich mit Elektroschock-Pistolen, sogenannten „Tasern“, bewaffnet werden. Dieses Pilotprojekt testet weder die Funktionsweise dieser Waffen noch ihre Wirkung auf Menschen. Beides lässt sich in den USA längst beobachten. Was tatsächlich getestet wird, ist die Reaktion in der deutschen Bevölkerung. Kritik blieb bisher aus, sodass der Versuch aus Sicht der Befürworter als gelungen gelten kann. Überhaupt vernimmt man derzeit eher Stimmen aus einer anderen Richtung: Die Polizei wird tendenziell als schwach und überfordert gezeichnet, obwohl sie im Zuge der noch immer andauernden Corona-Pandemie mit ungekannten Sonderbefugnissen ausgestattet wurde und auch im Stadtbild viel präsenter ist, seit sie kleine Gruppen daraufhin kontrolliert, aus wie vielen Haushalten sie kommen und ob sie ihre Maske ordnungsgemäß über Mund und Nase gezogen haben.

Taser-Einsatz: Mehr oder weniger Gewalt?

Dennoch scheint man sich die Polizei oft als machtlos vorzustellen. Sowohl nach den Tumulten auf dem Frankfurter Opernplatz im Juli, wo ein paar Dutzend betrunkene Jugendliche randalierten, als auch nach den Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt wenige Wochen zuvor, wurden Stimmen laut, denen zufolge die Polizei sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen sollte und es Zeit sei „resolut durchzugreifen“, etwa in der österreichischen Fernsehsendung Servus TV. Dort verknüpfte der Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt die Diskussion um die Ausschreitungen gar mit der sogenannten Migrationsdebatte, während andere einen Zusammenhang mit der Black Lives Matter-Bewegung sehen wollten. Einig war man sich jedoch darüber, dass den sozialen Verwerfungen mit einer stärkeren Polizei zu begegnen sei.

Im Jahr 2018 etwa haben Polizistinnen in Deutschland 54 Schüsse abgegeben. Befürworter der Taser-Aufrüstung hoffen, dass Polizisten dadurch den Gebrauch ihrer Schusswaffe in Gefahrensituationen vermeiden können. Aber wie viele Streifenpolizisten sind in den letzten Jahren in einer Notlage gewesen, aus der sie sich nur durch Schusswaffengebrauch haben befreien können? Es ist zu befürchten, dass die Hemmschwelle für den Waffengebrauch wegen der mitgeführten Taser sinkt und die von der Polizei ausgeübte Gewalt insgesamt zunimmt. Angesichts sinkender Zahlen von Gewaltverbrechen in Deutschland - auch gegen die Polizei - scheint diese zusätzliche Bewaffnung also unnötig, nicht zuletzt, weil auch der Einsatz von Tasern unter Umständen tödliche Folgen haben kann.

Strengere Rechtsprechung

Allgemeiner betrachtet und weiter gedacht ist diese Bewaffnung nur ein Aspekt sich verstärkender Staatsgewalt. Welche Erfahrungen machen Jugendliche, besonders jene mit Migrationshintergrund oder aus niedrigen Einkommensschichten wohl mit Polizei und Rechtsprechung? Denn auch die Judikative rüstet auf ihre Weise auf: Ein 18-jähriger Randalierer, der gestand, sich während der Stuttgarter Krawallnacht habe „mitreißen“ lassen und drei Scheiben eines Polizeiautos einschlug, wurde jüngst zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, obwohl selbst die Staatsanwaltschaft nur eine Bewährungsstrafe gefordert hatte. Das Urteil lautete auf schweren Landfriedensbruch und versuchte schwere Körperverletzung. Der Verdacht drängt sich auf, dass die politische Debatte um die „Stuttgarter Krawallnacht“ einen gewissen Einfluss auf die Urteilsfindung gehabt haben könnte. Zum Vergleich: Der NSU-Unterstützer André E. wurde 2018 ebenfalls zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, wohl gemerkt wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“.

Die Polizei ist stark genug

Auch nach den jüngsten Querdenken-Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Leipzig wurde berichtet, die Polizei sei, gewissermaßen hilflos, von einem militanten Mob rechtsradikaler Hooligans zurückgedrängt worden. Die Tagesschau sendete Bilder rückwärtsgehender Polizeiketten und die Linkspartei sprach von „Staatsversagen“. Völlig klar: Prügelnden Neonazis muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats begegnet werden, doch mutet die Vorstellung kurios an, die Polizei sei dazu aufgrund der „Stärke“ ihrer Gegner nicht in der Lage gewesen. Wer einmal eine Demonstrationen wie „Blockupy“ oder die Anti-G20-Proteste in Hamburg besucht oder beobachtet hat, weiß, dass die Polizei mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln problemlos in der Lage ist, eine Großdemonstration – egal wie friedlich oder militant sie auftritt – buchstäblich auseinanderzunehmen, und wie die Ordnungshüter dafür notfalls auch über Verhältnismäßigkeitsklauseln hinweggehen. Dass sie dafür weder Taser noch weitere Befugnisse brauchen, zeigte sie auch am 14. November, als sie in Frankfurt am Main mit Wasserwerfern erst den linken Gegenprotest und dann die Querdenken-Demo auseinandertrieben.

Es braucht politischen Willen

Eine aufgerüstete Polizei löst die gesellschaftlichen Probleme nicht, sondern verschärft sie eher. Mit Blick auf den politischen Umgang mit der Corona-Pandemie noch einige Beobachtungen: Es ist kaum verwunderlich, dass bei manchen Jugendlichen das Aggressionspotenzial steigt: Ihre Treffpunkte sind seit Beginn der Pandemie geschlossen und sie werden als kollektive Sündenböcke, ja sorglose Superspreader dargestellt. Hätten nicht auch die Querdenker-Demos weniger Zulauf, wenn die Debatte über die ungleiche gesellschaftliche Lastenverteilung in der Pandemiebekämpfung breiter und offener geführt würde? Eine stärkere Exekutive wird weder den Kampf gegen Verschwörungstheorien, noch den gegen die Gewaltbereitschaft mancher Jugendlicher gewinnen. Den randalierenden Nazis könnte die Polizei aber schon jetzt das Handwerk legen, ganz ohne weitere Aufrüstung. Dafür bräuchte es allerdings politischen Willen.

Quellen zum Weiterlesen

Polizei setzt Wasserwerfer bei Gegen-Protest ein (Frankfurter Rundschau, 14.11.2020)
Bundespolizei testet Elektroschockpistolen (Zeit online, 24.08.2020)
Taser für die deutsche Polizei: Wie gefährlich sind Elektroschockpistolen? (DW, 05.08.2019)
Serie von Gewalt-Exzessen schockiert Europa (Servus TV, 02.07.2020)
Immer mehr, immer brutaler? (Tagesschau, 24.06.2020)
André E. zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt (Spiegel Panorama, 11.07.2018)