Investiturstreit auf Chinesisch?

Bis zum 22. Oktober muss das neue Abkommen zwischen der chinesischen Führung und dem Vatikan stehen. Dann läuft die vor zwei Jahren getroffene Abmachung aus, an der es heftige Kritik gibt. Die römische Kirche sollte das Verhältnis fortsetzen und den Gesprächskanal nach Peking so offenhalten.

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Nur wenige Entscheidungen, die Papst Franziskus während seines Pontifikates getroffen hat, waren so umstritten wie das Abkommen mit der Regierung der Volksrepublik China, das der dortigen Führung die Möglichkeit einräumt, Bischöfe zu ernennen. So wurde es zumindest oft dargestellt. Sofort sprangen Bilder in den Kopf: Kaiser Heinrich IV., wie er nach Canossa zieht, um dort vor Papst Gregor VII. Buße zu tun und diesem endgültig das Recht der Bischofsernennung zuzugestehen. Nur war es dieses Mal anders herum: Als würde Franziskus nach Peking gehen und dort vor Xi Jinping den Kotau vollziehen.

Geheimsache Abkommen

Was genau in dem Abkommen steht, ist nicht öffentlich bekannt. Fest steht, dass Franziskus einige Bischöfe anerkannt hat, die zuvor von der Führung der Kommunistischen Partei ernannt worden waren. Das klingt weniger nach einem Freifahrtschein für die Pekinger Führung als vielmehr nach einem Anerkennen des Status quo. Dass die Partei die Bischöfe wieder abberuft, davon war auch mit bestem Willen kaum auszugehen.

Was genau erhoffen sich Partei- und Staatsführung in China von dem Abkommen und welches Verhältnis zu Religion existiert überhaupt im Reich der Mitte? Die Zeiten der totalen Religionsfeindschaft unter Mao Zedong gehören längst der Vergangenheit an. Die KP ist keine stark ideologische Partei mehr. Sie lässt das zu, was ihren eigenen Machterhalt oder den Aufstieg Chinas in der Weltordnung nicht gefährdet.

Zwei Kirchen statt einer

Das zeigt sich etwa darin, dass man in Peking kein Problem mit der katholischen Kirche an sich hat. Doch in China gibt es faktisch zwei Kirchen: Eine pekingtreue, organisiert in der „Chinesisch Katholisch-Patriotischen Vereinigung“ (KP) und eine Untergrundkirche, die sich der Kontrolle durch die Behörden widersetzt. Ein Problem stellt für die KP nur die zweite dar. Aus Sicht der Parteiführung untergräbt sie ihren Machtanspruch, der sich auf die meisten Bereiche des alltäglichen Lebens ausdehnt. Viele chinesische Muslime im Westen des Landes erleben gerade, dass die chinesische Führung nicht zimperlich ist, dagegen auch mit harten Mitteln vorzugehen.

Dass der Staat auch die Religion kontrolliert, ist übrigens keine Idee der Kommunistischen Partei. Ein prominentes Beispiel: Schon vor mehr als zweihundert Jahren ließen sich die Qing-Kaiser über die Goldene Urne ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Dalai Lama zusichern. Die KP führt mit ihrem Anspruch also gewissermaßen eine chinesische Staatstradition fort. Um dieses Verhältnis zwischen Staat und Religion zu verstehen, muss man einige wesentliche Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Religionen, sowie das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Religion in China verstehen.

Religionsverständnis in Ost und West

Die drei großen Religionen Chinas – Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus – folgen einer gänzlich anderen Logik, als die drei großen abrahamitischen Religionen, mit denen wir in Europa meist konfrontiert sind und die auch als Referenz dienen, wenn man hier an Religion denkt. Trotz ihrer Verwandtschaft sind sie exklusiv: Wer Christ ist, kann kein Muslim sein und umgekehrt. Chinesische Religionen sind in dieser Hinsicht flexibler. Sie erheben keinen alleinigen Gültigkeitsanspruch. Für Chinesen ist es kein Widerspruch, am einen Tag an einem buddhistischen Schrein zu beten und am nächsten einen Dao-Tempel aufzusuchen.

Das führt dazu, dass diese Religionen eine weniger starke institutionelle Zentralisierung ausgebildet haben. In China gibt es dagegen mit der Kommunistischen Partei nur eine zentralisierte, hierarchisch gegliederte Massenorganisation. Die Kirche muss der Partei zwangsläufig als Organisation gleichen Typs erscheinen, daher begegnet sie ihr mit Misstrauen. Und sie hat auch nicht ganz Unrecht: Die katholische Kirche möchte nicht den Platz einnehmen, der Religionen traditionell in China zusteht. Ihr Selbstverständnis fordert Anderes.

Vatikanisches Dilemma

Der Vatikan steht damit vor einem Dilemma. Eigentlich kann man in Rom nicht akzeptieren, dass China in die inneren Angelegenheiten der Kirche eingreift – so wie man es in Peking anders herum auch nicht akzeptieren möchte. Was hat die Kirche also durch einen Deal mit dem chinesischen Regime zu gewinnen? Kritiker sagen: Nichts. Vielmehr falle man damit der Untergrundkirche in den Rücken, die während der jahrelangen Repression immer treu zu Rom gehalten hat.

Doch bei aller Anerkennung ihrer Leistungen muss man einsehen, dass diese Christen in China kein schönes Dasein fristen. Ihr Leiden könnte auch andere Chinesen abschrecken. Man könnte sie aus ihrem permanenten Versteckspiel befreien und so allen chinesischen Katholiken endlich die Partizipation an der Weltkirche ermöglichen, die sie sich wünschen. Diese Teilhabe darf die Kirche ihren Mitgliedern dort nicht verwehren. Kann man Christen in China einen Vorwurf machen, wenn sie – nach ihren Möglichkeiten – in eine der regimetreuen Kirchen gehen? Ihr Wunsch, am Gemeindeleben teilzunehmen, ist doch legitim.

Nun hat die Kirche endlich die Möglichkeit, auf diese Menschen zuzugehen. Sie sollte sie nicht verpassen, auch wenn es wohl weiterhin eine Partizipation mit Einschränkungen bleiben wird. Zudem wird Peking sicherlich versuchen, die Rahmenbedingungen für das neue Abkommen zu diktieren. Das ist ein hoher Preis. Natürlich muss und darf der Vatikan auch nicht jede Forderung einfach so hinnehmen. Die ungleich schlechtere Alternative wäre jedoch das Kappen der Verbindungen zwischen Rom und Peking. Dann hätte der Papst allen Einfluss in China verloren.