Sterben in Würde – ein frommer Wunsch?

Das Bundesverfassungsgericht hat eine 2015 vom Bundestag getroffene Regelung zur Verschärfung der Sterbehilfe für nichtig erklärt. Und das ist auch gut so, trotz Widerspruch der Kirchen. Die eigentlichen Probleme liegen nämlich an anderer Stelle.

(Foto: Anestiev auf Pixabay)

Ein Lebensabend in Würde. Das wünschen sich viele Menschen heute. Trotz riesiger Fortschritte in Medizin und Pharmazie wird dies jedoch immer schwieriger zu erreichen. Das hat einen einfachen, aber zugleich paradoxen Grund: Nie zuvor in der Geschichte sind Menschen im Schnitt so alt geworden wie heute. Gleichzeitig gab es nie zuvor die medizinischen Möglichkeiten, das Leben eines Menschen so lange über das natürliche Maß hinaus zu verlängern.

Der Realität Rechnung tragen

Diesen Veränderungen muss die Gesellschaft Rechnung tragen, mit ihnen der Gesetzgeber und auch wichtige gesellschaftliche Institutionen wie die Kirche. Der Rücktritt Papst Benedikts etwa war eine Antwort auf die Herausforderungen des Alters. Denn: Wer älter wird, wird häufig auch schwächer und ist dann möglicherweise nicht mehr in der Lage, der eigenen Berufung nachzukommen. Die Debatte um Sterbehilfe ist nur eine konsequente Fortsetzung der Debatte um das Altern in Würde.

Die Kirchen in Deutschland verkennen diese Realität leider: Ein „Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur“ sei das Urteil aus Karlsruhe, hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Berechtigt dagegen scheint die Sorge der Kirchen, alte oder kranke Menschen könnten unter Druck geraten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, um Angehörigen nicht finanziell oder seelisch zur Last zu fallen.

Ein ökonomisches Problem

Im US-Bundesstaat Oregon werden bei unheilbar Kranken gewisse lebensverlängernde Therapien nicht mehr von der Krankenversicherung übernommen. Die Kosten für einen assistierten Suizid dagegen schon. Das zeigt besonders drastisch das Dilemma auf, in das Patienten bei weiterer Zuspitzung der ökonomischen Lage im Gesundheitssektor geraten könnten. Mit selbstbestimmtem Sterben hat eine solche Situation nichts zu tun.

Dieses Beispiel führt aber auch vor Augen: Das große Problem mit der Sterbehilfe ist vor allem ein wirtschaftliches. Das brachte auch der Präsident des evangelischen Diakonie-Hilfswerks, Ulrich Lilie, zum Ausdruck. Er sagte, dass Beihilfe zum Suizid angesichts von finanziellem Druck nicht zur billigen Alternative für eine aufwendigen Sterbebegleitung werden dürfe. Er hat Recht. Das darf sie nicht!

Unterfinanzierung beenden

Genau hier müsste der Gesetzgeber eingreifen: Die Prekarisierung des Gesundheitssektors in Folge von Schröders „Agenda 2010“ ist das Haupthindernis für einen selbstbestimmten Tod. Überarbeitete Ärzt:innen und Pfleger:innen in unterfinanzierten, privatisierten Krankenhäusern sind häufig nicht in der Lage, Todkranke auf ihrem letzten Weg angemessen zu begleiten; oder Patient:innen zum Thema der unterstützten Selbsttötung fachkundig zu beraten, sollten Patient:innen dies wünschen – von den Kosten solcher Maßnahmen ganz zu schweigen.

Das darf aber im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass leidenden Patienten ein selbstbestimmtes Lebensende verweigert wird, bis die Krankenhäuser hierzulande ausreichend finanziert sind. Oft wird auf das Recht eines jeden gepocht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Tod ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens und er sollte deshalb nicht von dieser Forderung ausgenommen werden. Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einigen Menschen hilft, selbstbestimmter zu leben und zu sterben, dann ist dieses Urteil richtig. Auch wenn die Bedenken weiterhin gerechtfertigt sind.