Bolivien: Unrecht mit der Bibel in der Hand

In Bolivien hat das Militär eine neoliberale Rassistin an die Macht geputscht. Ideologisch haben Evangelikale den Weg bereitet. Seit der Druck von der Straße zu groß wurde, schießt das Militär. Die Weltöffentlichkeit nimmt den Skandal schulterzuckend zur Kenntnis.

Bild von Kaniri auf pixabay.

Es ist verdächtig ruhig geworden um das Land am Titicacasee. Hinter Greta Thunbergs Platz in der Bahn und Trumps Impeachment geraten die großen globalen Machtverschiebungen bisweilen aus dem Blick – ganz im Interesse der Herrschenden. Doch was in Bolivien passiert, ist skandalös.

Machtverschiebungen in Südamerika

Anfang des Jahres schaute man noch etwas unentschlossen auf die politische Landschaft Südamerikas. Als die USA und später auch die EU-Staaten Venezuelas Präsidenten der Nationalversammlung, Juan Guaidó, als venezolanischen Präsident anerkannten, war man sich zwar sicher, dass es sich um fragwürdige Vorgänge handelte, doch irgendwie schien der Glaube zu überwiegen, dass sich im krisengeplagten Maduro-Staat tatsächlich etwas ändern müsse. Dass die US-Regierung in Person von Vizepräsident Mike Pence beim UN-Sicherheitsrat wiederholt mit Krieg drohte, nahm die westliche Öffentlichkeit zähneknirschend hin. Im November dieses Jahres wurde nun – erfolgreicher als in Venezuela – erneut ein linker Präsident mit militärischer Macht aus dem Amt gedrängt.

Wieder „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl

Wie in Venezuela wurden in Bolivien „Unregelmäßigkeiten“ bei den Präsidentschaftswahlen zur Rechtfertigung der Intervention gegen den amtierenden Präsidenten Morales herangezogen. Dabei ist die Vokabel „Rücktritt“ ein Euphemismus. Die Fakten sprechen dafür, dass es sich schlicht um einen Militärputsch handelte. Die „Unregelmäßigkeiten“ bei den Wahlen wurden nie bewiesen – und obwohl Morales dennoch Neuwahlen anbot, zwang ihn das Militär ins mexikanische Exil.

Eine Rassistin in Amt und Würden – mit der Bibel in der Hand

In der Folge des Putschs erklärte sich die Oppositionspolitikerin Jeanine Áñez Chávez zur Interimspräsidentin. Obwohl die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung indigener Herkunft ist, besetzte die rechtsliberale Áñez ihr Kabinett ausschließlich mit Wirtschafts-Eliten, wobei keine einziger Minister*in die indigene Bevölkerung repräsentiert. Wes Geistes Kind die neue Präsidentin ist, zeigte sich darüber hinaus in ihren Tweets: In Bolivien gebe es keinen Platz für die „satanischen Riten“ der Indigenen. Sie sollten „zurück in die Berge“ gehen, weil in der Stadt kein Ort für sie sei. Der Rassismus gegen Boliviens first nation mischt sich dabei mit evangelikaler Rhetorik. Áñez inszeniert sich gerne als Christin, führt Jesus-Floskeln auf den Lippen und schwadroniert, man könne „Gott nicht ersetzen“.

Die Rolle der Evangelikalen

Áñez benutzt eine Sprache, die von evangelikalen, meist aus den USA finanzierten Gemeinden verwendet wird. Der Anteil der evangelikalen Community an der Gesamtbevölkerung wuchs in Bolivien zwischen 1996 und 2013 von sieben auf 17 Prozent. Dabei ist entscheidend, dass es in diesen Communities kaum Hürden für geistliche Ämter gibt. Um Pastor zu werden, bedarf es weder eines theologischen Studiums, noch gibt es den Zölibat. Die Folge ist eine wachsende Zahl radikaler und theologisch schlecht ausgebildeter Hetzredner, die schon seit Jahren gegen die first nation und die Morales-Regierung agitieren. Das ist der Boden, auf dem Áñez‘ Rassismus gedeihen kann, hinter dem sie ihre neoliberale Agenda versteckt.

Der Machtkampf und Massaker

Die Bevölkerung will sich diese Entwicklungen allerdings nicht bieten lassen. Morales-Anhänger, insbesondere Indigenen-Verbände und Arbeiterorganisationen, gehen seit dem Putsch auf die Straße. In El Alto, aber auch in anderen Gegenden, war der Druck der Bevölkerung zwischenzeitlich so stark, dass die Polizei sich zurückziehen musste. Seitdem greift die rassistische Interimsregierung – die Worte „Demokratie“ und „christlich“ auf den Lippen – zu brachialen Methoden: Das Militär fuhr auf den Straßen auf, Menschenrechtsorganisationen berichten von Erschießungen und Massakern an Demonstrierenden. Angesichts der breiten Unterstützerbasis in der Bevölkerung hat Morales angekündigt, den Wahlkampf seiner Partei bei den kommenden Wahlen erneut anzuführen. Daraus soll jedoch nichts werden, am 18.12. wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen – man wirft ihm Rebellion vor; er habe die Aufstände gegen Áñez unterstützt. Áñez selbst, die die Aufstände blutig niederschlagen lässt, bleibt indes unbehelligt in Amt und Würden. Die Absetzung der linken Morales-Regierung passt der westlichen Wirtschaft hervorragend in den Kram und auch die politischen Institutionen scheinen kein Interesse daran zu haben, den Skandal entsprechen zu thematisieren. Schlimm genug. Dass sich jedoch die christlichen Kirchen in diesen Fällen ebenfalls nicht zu Wort melden, ist unverständlich. Schließlich geht es um die Deutungshoheit darüber, was man mit der Bibel rechtfertigen kann – und was nicht. Die Vorsätze der Amazoniensynode sind in dieser Frage zu lasch. Im Schlussdokument heißt es lediglich, die Beziehung zu „Pfingstkirchen, Charismatikern und Evangelikalen“ seien „nicht einfach“. Vielmehr müsste deutlich gemacht: Wer mit dem Wort Gottes Rassismus und Gewalt rechtfertigt, hat den rechten Weg verlassen.