Seenotrettung: Moral ist nicht genug

Private Seenotrettung kratzt nur an der Spitze des Eisbergs.
Die „Sea-Watch 3“-Kapitänin Carola Rackete ist freigesprochen worden. Zum Glück. Doch bei aller Heldenhaftigkeit der mutigen Kapitänin: Die private Seenotrettung kratzt nur an der Spitze des Eisbergs. Für die hunderttausenden in Nordafrika festgehaltenen MigrantInnen muss eine Lösung gefunden werden. Eine Verbesserung der Zustände muss gegen die EU und die erstarkende Rechte durchgesetzt werden.

Die Tragödie geht weiter

Aus Algerien wurden in den letzten 14 Monaten 13.000 afrikanische MigrantInnen, darunter auch Kinder, ausgewiesen und unter Androhung von Gewalt in der Sahara ausgesetzt. Unter dem Druck der EU ergreifen alle nordafrikanischen Länder ähnliche Maßnahmen, um Menschen an der Flucht nach Europa zu hindern. Die schlimmsten Gräuel werden wohl in Libyen verübt: Folter, Erpressung und Mord. Einschlägige Berichte kennen auch die Menschen in Mali, Gambia, der Elfenbeinküste oder im Niger. Trotzdem machen sie sich auf den Weg. Weltweit flüchten mehr Menschen als jemals zuvor.


(Symbolbild; Bild von Zsuzsanna Tóth auf Pixabay)

Die Wenigsten schaffen es aufs Mittelmeer

Bisweilen hört man, die Flüchtlinge würden überhaupt nur den gefährlichen Weg aufs Mittelmeer antreten, weil die Aussicht auf Rettung durch NGOs bestünde. Das ist ein rechtes Schauermärchen. Tatsächlich steigen die Menschen in Boote, obwohl sie genau wissen, dass die Chancen schlecht stehen. Um die Zahlen der übers Meer flüchtenden MigrantInnen zu senken, kooperiert die EU mit Schleusern und Warlords, die die Flüchtlinge in Lagern einsperren. Insbesondere Italien nutzt hierbei seine Kontakte in die ehemalige Kolonie Libyen.

Seenotrettung ist nötig und legal – doch der Druck der Rechten nimmt zu

Carola Rackete wurde freigesprochen. Das zeigt, dass auch in Salvinis Italien der Rechtsstaat noch funktioniert. Noch – denn Italiens Innenminister hat angekündigt, das bereits existierende Dekret, das Seenotrettung zur Straftat machen sollte, nochmal zu verschärfen. Mediale Einschüchterungsversuche gegen die zuständigen Richterin und Morddrohungen gegen Kapitänin Rackete sprechen darüber hinaus eine deutliche Sprache: Die italienische und europäische Gesellschaft verroht zunehmend.

Kirche setzt Impuls – doch ist allein zu schwach

Die Kirche hat den richtigen Impuls gesetzt. Mit der italienischen Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Renzi hatte die italienische Bischofskonferenz 2015 ein Programm verabschiedet, um besonders gefährdete Kriegsflüchtlinge auf legalem Wege aus Afrika einzufliegen, damit sie in Europa einen Asylantrag stellen können. Rund 2.000 Menschen konnten seit Anfang 2016 diesen „humanitären Korridor“ nutzen, wie eine Studie der Caritas zeigt. Kürzlich hat außerdem die evangelische Kirche Italiens angekündigt, die vom Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ geretteten Migranten zu unterstützen.

Das ist in jeder Hinsicht nötig und setzt moralisch das richtige Zeichen. Doch die Umsetzung des Korridors deutet an, dass es mehr bedarf als moralisch richtigen Handelns: Eine globale Strategie muss her. Kurzfristig müssen viel mehr Menschen durch humanitäre Korridore nach Europa gebracht und dort nach einem gerechten Schlüssel verteilt werden. Eine langfristige Bekämpfung der Fluchtursachen ist komplex und kann nicht allein von gesellschaftlichen Akteuren wie privaten NGOs und den Kirchen bewerkstelligt werden. Es bräuchte ein breites politisches Bündnis. Doch die europäische Linke ist zerstritten und denkt nicht global genug, während die Sozialdemokratie auch deshalb an Boden verliert, weil sie auf diese drängende Frage nicht einmal den Hauch einer Antwort gibt.