Warum der Brexit scheitern musste

Drei Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU ist das Land politisch wie wirtschaftlich am Boden. Während die britischen Bürgerinnen und Bürger ihr „Yes“ zum Brexit langsam bereuen, ist die politische Führung nach wie vor überzeugt vom Erfolg des EU-Ausstiegs. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine waren zum Zeitpunkt des Referendums nicht absehbar, doch dass der Brexit nur scheitern konnte, lag auf der Hand.

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Ein amerikanischer Kollege sagte mir in einem Gespräch über den Brexit: „Why would anybody leave the VIP-Club“ – Warum würde jemand freiwillig aus dem VIP-Club austreten? Die Antwort darauf ist auch die Antwort auf die Frage: Warum war der Brexit zum Scheitern verurteilt. Sie lautet: Nostalgie. Das zeigen auch die neuesten Aussagen vom britischen Premierminister Rishi Sunak – immerhin der fünfte seit dem Brexit-Referendum von 2016: Die Briten sind immer noch nicht bereit, sich von ihrem imperialistischen Selbstbewusstsein zu lösen. Trotz der steigenden Inflation, einem sinkenden Bruttoinlandsprodukt und anhaltenden Streiks in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens, ist Sunak fest davon überzeugt, dass der Brexit eine „riesige Chance“ für Wachstum, Arbeitsplätze und soziale Mobilität sei und dass Großbritannien in den vergangenen drei Jahren „große Schritte“ gemacht habe, die „durch den Brexit entstandenen Freiheiten“ zu nutzen. Dabei ist das Vereinigte Königreich die einzige große Volkswirtschaft der Welt, deren Wachstumsleistung sich bisher nicht von den Folgen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine erholt hat. Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass Fachkräftemangel, zusätzliche Zölle und erhöhter bürokratischer Aufwand beim Handel das BIP in Großbritannien auch in den kommenden Jahren weiter schrumpfen lassen. Viele britische Exporteure haben ihre Verkäufe in die EU bereits aufgrund der bürokratischen Hürden eingestellt. Und auch als Importland verliert Großbritannien bei zahlreichen EU-Ländern an Bedeutung.

Entscheidung aus Nostalgie

Mit dieser imperialistischen Überheblichkeit haben die Brexiteers die knappe Mehrheit von 51,9 % seinerzeit der Wahlbeteiligten dazu gebracht, gegen einen Verbleib in der EU zu stimmen. Die Versprechen damals waren typische Forderungen von Populisten, à la „Make Britain great again“. Mit der Idee zur Rückkehr zum einst glorreichen Empire wurde für den Brexit Werbung gemacht: Nicht mehr unter der Knechtschaft Brüssels stehen. Politik und Wirtschaft wieder nach eigenen Regeln gestalten. Die Grenzen gegen Einwanderung sichern. Die chaotischen Austrittsverhandlungen, die schon lächerliche Fluktuation in 10 Downing Street sowie die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes haben in den letzten Jahren gezeigt: Nichts weiter als eine nostalgische Utopie. Das Problem mit Nostalgie: Sie beschreibt die Sehnsucht nach einem Ort oder Zustand der Vergangenheit; ein Zustand oder eine Zeit, die man selbst gar nicht persönlich erlebt haben muss. Das Tückische: Dieser Ort oder Zustand wird dabei so idealisiert und romantisiert, dass eine Rückkehr faktisch unmöglich ist. Selbst wenn der exakte Status quo ante wiederhergestellt würde – er entspräche nicht der idealisierten Vorstellung. Aus diesem Grund konnte der Brexit auch auf allen Ebenen nicht gelingen.

Es geht nicht ohne die EU

Die groß beworbenen Versprechen – keine Regeln der EU, Einwanderungsstopp, bilaterale Handelsbeziehungen ohne Brüssel – sie fallen den Briten jetzt auf die Füße. Durch den Austritt Großbritanniens aus dem europäischen Binnenmarkt ist der Handel so bürokratisch und komplex geworden, dass viele Händler abgeschreckt sind und viele Handelsbeziehungen beendet haben. Außer Australien und Neuseeland hat bisher kein weiteres Land ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich geschlossen. Der Wunsch nach einem US-UK Abkommen ist auf unbestimmte Zeit ad acta gelegt. Die ausländischen Arbeitskräfte, die nicht mehr ins Land kommen oder das Land aufgrund des Brexits verlassen mussten, fehlen aktuell in sämtlichen Bereichen der Wirtschaft. Beschäftigte in Pflege, Gastronomie, Logistik und im öffentlichen Dienst legen seit Monaten regelmäßig ihre Arbeit nieder, weil ihnen das Personal fehlt und ihre Arbeit durch die Behinderungen des Handels beeinträchtigt ist. Selbst das Innenministerium warnte Touristen in der Zeit vor Weihnachten und dem Jahreswechsel vor nicht notwendigen Reisen ins Land, da die Streiks in den verschiedenen Sektoren für extreme Einschränkungen bei der Einreise sorgten. Es mag sicherlich alternative Zusammenschlüsse und Handelsbeziehungen geben zur Europäischen Union, wie sie in ihrer jetzigen Form gestaltet ist und agiert, aber ein Staat, der sich als einziger aus diesem VIP-Club von 27 Staaten verabschiedet, ist zum wirtschaftlichen Scheitern verurteilt.

Keep calm and carry on

Gerade in dieser Zeit muss das Volk auf seinen moralischen Kompass, seinen Grundstein der Stabilität verzichten: Die Queen. Ein Zeichen, dass eine Rückkehr zu „Pomp and Circumstance“ nicht mehr möglich ist. Genauso wie sich die Royal Family nach dem Tod der Queen neu erfinden und definieren muss, so muss sich auch die politische Führung von ihrem Traum von Glanz und Gloria verabschieden, den sie sich und der Bevölkerung mit dem Brexit versprochen haben. Ein Exit vom Brexit ist dennoch unwahrscheinlich. Neueste Umfragen zeigen zwar, dass die Mehrheit der Briten den Brexit für eine schlechte Entscheidung hält und 65% der Bevölkerung eine erneute Abstimmung zu diesem Thema fordert. Über den Zeitpunkt der Abstimmung sind sich die Befürworter allerdings sehr uneinig. Nur ein Fünftel wünscht sich eine sofortige Abstimmung zum Wiedereintritt. Die meisten würden eine Abstimmung in fünf Jahren befürworten. Umfragewerten zu Folge wird im kommenden Jahr die Tory-Regierung abgewählt. Doch auch der Labour-Spitzenkandidat, Keir Starmer, der sich in der Vergangenheit für einen Exit vom Brexit einsetzte, wirbt derzeit lediglich damit, das Austrittsabkommen zu verbessern. Vielleicht wird der politischen Führung dann endlich bewusst, dass man als ehemaliges Empire auch innerhalb einer Union von 27 Staaten stolz und groß sein kann. Bis dahin heißt es für die Briten erstmal abwarten und Tee trinken oder „Keep calm and carry on“.

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