Wie meine Pilgerreise Weihnachten für mich verändert hat

Besonders an Weihnachten denke ich an meinen Jakobsweg zurück, den ich mit meinem Vater gelaufen bin. In der Vorweihnachtszeit ist alles so viel hektischer als im Rest des Jahres. Zwischen Studium, Job und den ganzen Verpflichtungen, die mit Weihnachten einhergehen, wird es mir auch manchmal zu viel. Die vollen Straßen und Einkaufsläden erinnern mich besonders daran, mal wieder ein bisschen runter zu fahren und der stressigen Zeit ein bisschen entgegenzuwirken.

Lena Herrmann

Bevor ich mich für ein Teilstück des Jakobswegs entschied, befand ich mich in einer schwierigen Phase. Ich wusste nicht so richtig, ob ich den richtigen Weg in meinem Leben eingeschlagen hatte. Mein Vater ist mehrmals im Jahr auf dem Jakobsweg unterwegs. Er hat mir immer ans Herz gelegt, doch einmal mitzukommen und insgeheim war es einer seiner größten Wünsche. Ich war nie ein Fan vom Wandern. Deshalb war eine Pilgerreise zu Fuß bis dahin keine Option für mich in meinem wohlverdienten Urlaub gewesen. Trotzdem hatte ich den Film zum Pilgertagebuch von Harpe Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ schon fünfmal gesehen, ich mag einfach seine ironische und selbstkritische Art. Ein Zitat daraus wurde in meinem Kopf immer lauter: „Irgendwas wird dieser Weg schon in mir verändern“. Also gut, dachte ich, irgendetwas wird dieser Weg mir schon bringen und wenn nicht, habe ich meinem Vater einen langersehnten Wunsch erfüllt. Wenn ich, wie jedes Jahr, auf der Suche nach dem perfekten Weihnachtsgeschenk für meinen Vater bin, erinnere ich mich gerne daran zurück. Nicht immer sind es materielle Geschenke, die Menschen glücklich machen.

Der Regenbogen und Weihnachtskitsch

Wie man stressigen Zeiten entgegenwirkt, musste ich direkt am Anfang meines Weges erleben. Als ich im Mai 2019 meine ersten Meter ging, war ich den Tränen nahe. Viel lieber wollte ich an irgendeinem Strand in der Sonne liegen. Stattdessen stand ich auf einem Holzsteg an der portugiesischen Küste. Auf meinem Rücken ein knalloranger 33-Liter-Rucksack, gefüllt mit ein paar Wechselklamotten und den nötigsten Kosmetikartikeln für diese Reise. Insgesamt drückten 6 Kilogramm gepackt auf meinen Schultern. Unter mir war ein gelber Pfeil, der den scheinbar endlos langen Steg hinauf deutete. Ich konnte nicht glauben, dass ich die nächsten 14 Tage wirklich ausschließlich zu Fuß unterwegs sein würde. Ich war gestresst von dieser Herausforderung und versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Rückblickend klingt das ein wenig kitschig, aber im selben Moment tauchte ein Regenbogen über den Wellen des Atlantiks auf. Ich betrachtete ihn eine Weile und lauschte den Wellen des Meeres. Allein dadurch änderte sich meine schlechte Laune und plötzlich ich wollte diese Herausforderung annehmen. Mein Vater hatte mir immer gepredigt, dass alles im Leben seinen Sinn hat und alles zur richtigen Zeit kommt. Dieser Regenbogen war für mich ein Beweis dafür. Vielleicht verstand ich zum ersten Mal, dass man die schönen Dinge einfach nur bewusst wahrnehmen muss, um etwas Positives daraus zu gewinnen.

Wenn ich das auf Weihnachten übertrage, denke ich: Ich möchte nicht in Stress geraten, wenn ich kurz vor Weihnachten noch nicht alles erledigt habe. Mir genügt es manchmal, den ganz besonderen Duft von frisch gebackenen Plätzchen wahrzunehmen, um diese stressige Zeit zu entschleunigen. Ich mag die kitschigen Dinge, wie das Flackern von Kerzen an Weihnachten, auch wenn es für manch andere abgedroschen klingt.

Im Weingut von Herbergsvater Hugo

Die ersten beiden Nächte in öffentlichen portugiesischen Pilger-Herbergen waren eine Qual: quietschende Ledermatratzen in Hochbetten und Schnarch-Orchestern der anderen Pilger. Ich wollte nicht mehr wandern und hätte am liebsten den nächsten Flieger zurück genommen – bis wir am dritten Nachmittag in der Herberge Casa do Sardão ankamen. Die Pilgerherberge gehört Hugo, einem jungen Portugiesen, der schon viele Pilger empfangen hatte. Überall auf dem Camino hört man Geschichten, wie schön es dort ist. Obwohl wir auch hier in einem 10-Bett-Zimmer schliefen, konnte ich diesem Ort die Mühe ansehen, mit der der Herbergsvater sie gestaltet hatte. In jahrelanger Arbeit hatte Hugo das ehemalige Weingut liebevoll zu einer Pilgerherberge umgebaut. In den steinernen Wänden versteckten sich überall Erinnerungsstücke von Pilgern. Bei Hugo herrschte eine besondere Atmosphäre, in der ich mich sofort wohl fühlte. Es war der erste Abend, an dem ich die Menschen kennenlernte, denen ich den Rest meines Weges immer wieder begegnen sollte. Der erste Abend mit tiefgründigen Gesprächen und einer erholsamen Nacht. Endlich war ich auf meiner Reise angekommen, dachte ich und: Vielleicht geht es beim Pilgern nicht (nur) ums Wandern, sondern um all die Erlebnisse drumherum. So ähnlich ist es für mich auch an Weihnachten. Es geht für mich nicht nur um Weihnachten und die Geburt Jesu. Während es draußen dunkel und kalt ist, mache ich es mir zuhause gemütlich. Ich komme in der Weihnachtszeit runter vom Rest des Jahres, in dem ich immer nur unterwegs bin. Ein Buch und ein warmer Kakao reichen mir, um es mir in der stressigen Weihnachtszeit gemütlich zu machen. Dann denke ich: Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein, wenn ich dort bin, wo ich mich wohlfühle.

“Alles kommt zur richtigen Zeit”

Immer wieder begegnete ich beim Pilgern Menschen, die ich schon einmal getroffen hatte. Dann verschwanden sie, um irgendwann wieder unvermittelt aufzutauchen. Wir trafen uns zum Abendessen und buchten manchmal dieselben Herbergen. Wir liefen Teile des Weges zusammen und waren dann auch wieder allein unterwegs. Aber unsere Wege kreuzten sich wieder. Immer, wenn ich gerade das Bedürfnis hatte, zu reden oder wenn mir mal wieder das Wasser ausging, waren sie da. „Alles kommt zur richtigen Zeit.” Ja Papa, du hast Recht! Als wir am letzten Tag unserer Pilgerreise endlich die Kathedrale von Santiago de Compostela am Horizont sahen, konnte ich mein Glück kaum fassen. Gleich würden wir unser Ziel erreichen und die Compostela, die offizielle Pilgerurkunde, abholen. Am Vorplatz der Kathedrale empfingen uns einige unserer Pilger-Bekanntschaften, sie hatten extra auf uns gewartet, denn an dem Tag war mein Geburtstag, den wollten sie mit mir feiern. Das war das größte Geschenk, was sie mir machen konnten. Die Gemeinschaft mit den Menschen hatte mir den Halt gegeben, den ich gebraucht hatte. Und das wertvollste Geschenk für meinen Vater habe ich ihm geschenkt: Ich bin mit ihm diesen Weg gelaufen, bin über meine Grenzen und noch viel weiter gegangen. Wenn ich in der Vorweihnachtszeit manchmal im Konsumrausch versinke, möchte ich gerne öfter daran denken, dass materielle Dinge mich zwar glücklich machen können, aber auch oft ihren Sinn verfehlen. Als Kind fand ich die Bescherung das Wichtigste am Heiligen Abend. Inzwischen denke ich: Ist es nicht am schönsten, mit den liebsten Menschen um mich herum diesen besonderen Tag zu verbringen? Denn genau das habe ich von meinem Jakobsweg mitgenommen.

Gemeinsam freuen auf die Kilometer

Ohne die Gemeinschaft auf dem Weg wäre ich niemals so weit gekommen. Meine Pilgerfreundinnen und -Gefährten haben mir den Halt gegeben, den ich gebraucht hatte, um mich jeden Morgen auf die bevorstehenden Kilometer zu freuen. Ohne meinen Vater hätte ich diese Herausforderung niemals angenommen. Die gemeinsame Zeit war ein großes Geschenk für uns beide. An den schweren Rucksack konnte ich mich schnell gewöhnen, sodass er mich nach einigen Tagen nicht mehr gestört hat. Der Jakobsweg sollte mich verändern. Viele Dinge nehme ich heute bewusster wahr – und sogar wandern gehe ich seitdem manchmal. Der Weg hat mich nicht nur nach Santiago gebracht, sondern mir neue Wege und Möglichkeiten gezeigt. Er hat mich oft überrascht, mich verstehen lassen, worauf es im Leben wirklich ankommt: Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein und das Wichtigste dafür haben ich meistens schon um mich herum.
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