Kyrill – Hohepriester eines Regionalgottes

Die Welt steht fast geschlossen gegen den Angriff Russlands auf sein Nachbarland. Der Patriarch von Moskau rechtfertigt diesen Krieg. Kann er sich auf den christlichen Gott berufen oder macht er sich zum Repräsentanten eines russischen Regionalgottes? Auf welcher Seite steht Gott überhaupt?

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Dieser Kommentar reagiert auf die Abwesenheit von Theologie auf einem Podium der Berliner Katholischen Akademie. Es ging am 17.3.2022, drei Wochen nach Kriegsbeginn, um „die Rolle der Kirchen?“ Der Moskauer Patriarch schweigt nicht etwa bloß, sondern rechtfertigt diesen Krieg. Er definiert damit seine Rolle nicht als Vertreter Christi, sondern als der Hohepriester einer russischen Regionalgottheit. Dies als theologischer Nachtrag, denn wenn Kirche, dann genügt eine religionssoziologische Rede nicht.

Rechtfertigung eines Angriffskrieges im Namen Jesu

Wenn Kyrill sich als Repräsentant Christi verstehen würde, dann müsste er sich doch fragen, ob er mit einem Gott rechnen kann, der ein Heer zum Sieg führt. Aber führen die russischen Panzer nicht im Sinne Kyrills einen solchen vor-Jesus-Krieg gegen den Westen, der die Völker der Rus mit seiner moralischen Verwerflichkeit infiziert haben soll? Muss nicht das Brudervolk von der Naziherrschaft befreit und in die kirchliche Gemeinschaft der Ostslawen zurückgeholt werden? Das klingt wie manche Psalmen des jüdischen Volkes. Aber Kyrill kann sich nicht auf den Gott berufen, der Gerechtigkeit will und an der Seite der Armen steht. Die Psalmen, die Gottes Hilfe gegen den Feind herbeirufen, können nicht die Russen, sondern allenfalls die Ukrainer mit Recht beten.

Die Reichen als Repräsentanten der moralischen Überlegenheit

So wie der Prophet Amos erheben auch in Russland Menschen ihre Anklage gegen die Reichen. Es ist die Korruption, in deren weltweitem Ranking Russland einen Spitzenplatz einnimmt. Die Oligarchen haben ihre Milliarden von den Öl- und Gaslieferungen abgezweigt, die sie nicht in Kyrills Land investiert, sondern in London und München in Immobilien angelegt haben, um auf ihren Yachten das verderbte Leben des Feindes zu genießen. Die Milliarden der Feindes-Währung, die der Staatschef bei seiner Zentralbank angehäuft hat, werden den Armen seines Landes vorenthalten, deren Mütter um ihre Söhne trauern.

Welchem Gott dient Kyrill?

Der Moskauer Patriarch wird von anderen Kirchenführern noch immer als Christ anerkannt. Aber telefonieren der Papst und der Erzbischof von Canterbury nicht mit dem Priester einer alten Gottheit, einem Regionalgott, der sich allein für Russland zuständig weiß und nur so wachsen kann, indem er umliegende Völker dazu zwingt, ihn anzubeten? Ist es nicht eine Gottheit, die dem Gott des Geldes Tribut zahlt? Seine Währung ist allerdings im Verhältnis zum weltweit zahlungsfähigen Dollar auf Null gesunken. Der Statthalter dieses Gottes wollte in der Währung des Feindes seinen Krieg finanzieren. Aber der Feind hat Putins Geld die Zahlungsfähigkeit entzogen, weil dieser den Schatz nicht in Goldbarren angelegt und so vor dem Zugriff des Feindes gesichert hat.

Kyrill bleibt im Weltbild der Stammesgottheiten

Kyrill, der Hohepriester der russischen Regionalgottheit, hat doch etwas aus dem Alten Testament übernommen. So wie die Juden die Erwählung durch ihren Gott in der Überlegenheit der von Jahwe geschenkten Gebote und Rechtsnormen erfahren, so berufen sich die Russen mit ihrem Hohenpriester auf die Überlegenheit ihrer Moral. Aber die Moral ist bei den ukrainischen Verteidigern, während die jungen russischen Soldaten noch nicht einmal wissen, wofür sie kämpfen. Damit Kyrill zumindest erahnen kann, welchen Gott die jüdischen Propheten verkündet haben, müsste er die Ortlosigkeit des einen Gottes wahrnehmen. Zeus wohnt nicht auf dem Olymp nebenan, ist nicht an einen Ort gebunden. Die Juden haben das in dem fremden Land ihrer Verbannung begriffen. Sie haben sich nicht der babylonischen Gottheit unterworfen, sondern auch ohne den Tempel zu ihrem Gott weiter gebetet. Als sie spürten, dass sie auch unter fremder Herrschaft von Gott geleitet werden, entstanden theologische Schulen, die im Exil die jüdische Bibel aus den mündlichen und schriftlichen Überlieferungen zusammenstellten. Kyrill könnte gewahr werden, dass Gott sowohl bei den sterbenden russischen Soldaten wie bei den Sterbenden in der Ukraine ist. Wenn er dann wenigstens die Leichen der russischen Soldaten ihren Familien übergeben würde, so dass sie würdig beerdigt werden können, hätte er sich von seiner unberechenbaren Regionalgottheit losgesagt. Ein Patriarch der gesamten Rus, also wie seine Vorgänger auch für die Christen in Belarus und der Ukraine, wird er nicht mehr werden können. Anstatt die alte kirchliche Ordnung zu bewahren, spaltet er die Orthodoxie.

Gott muss die Menschen für seine Reichsidee überzeugen

Am Moskauer Patriarchen wird deutlich, dass Gott auf seine Repräsentanten angewiesen ist, damit seine Vorstellung von Gerechtigkeit und menschlichem Zusammenleben verstanden wird. Warum greift er aber nicht direkt ein? Die einzig plausible Antwort ist nicht, dass Gott die menschliche Freiheit so sehr achtet, dass er Kinder und Kranke dieser Idee opfern würde. Dann wäre die Freiheit eine Fehlkonstruktion und jede Einschränkung der Freiheit zu befürworten. Das Verbot, in russischen Medien von Krieg zu sprechen, zeigt, dass diese beliebte theologische Unterstellung den Machthabern freie Hand lässt. Und das ist dann die für mich einzige Erklärung für die Zurückhaltung Gottes. Würde er nämlich eingreifen, könnte der Angreifer alle Mittel, auch eine Atombombe einsetzen. Denn Gott würde dann auch das wieder in Ordnung bringen müssen. Damit ist das Mysterium des Bösen nicht erklärt, welches sich Krankenhäuser und Kindergärten zum Kriegsziel aussucht.

Angriffskriege sind nicht mehr zustimmungsfähig

Dass der Krieg weltweit auf solche Ablehnung trifft, ist ein erstaunliches Zeichen. Kyrill könnte es biblisch deuten. Wenn auch China unter den Staaten bleiben will, die einem Angriffskrieg abgeschworen haben, dann ist doch die Welt dem Frieden näher. Wenn wir von einem Einwirken Gottes sprechen, dann nicht so, dass er uns seine Vorstellung aufzwingen sollte. Er würde sein Reich genauso totalitär regieren und damit den Kriegstreibern die Möglichkeit bieten, sich auf ihn zu berufen. Krieg als Bestrafung, das war schon George Bushs Verhängnis. Die Kirchen haben lange gebraucht, um das zu verstehen, was Kyrill noch lernen muss. Man kann eine gute Sache nicht mit Kanonen in die Herzen der Menschen pflanzen. Gottes Reichsidee setzt auf die Einsicht der Menschen.

Was auch noch bemerkenswert ist: Die Politik lernt langsam, andere Machtmittel als Waffen einzusetzen. Nicht mehr dazu zu gehören, kann man den Russen damit erklären, dass z.B. russische LKW-Fahrer im Westen deshalb festsitzen, weil ihre Kreditkarten nicht mehr akzeptiert werden. Die Christen weltweit können nur hoffen, dass das Moskauer Patriarchat zu Gott zurückkehrt, indem es dem Krieg ein Ende setzt und sich damit aus der Umklammerung des Staates wie der Oligarchen löst. Denn die goldenen Dächer der Kirchen sind das fatale Lösegeld für den Raub am russischen Volk. Das Land muss insgesamt aus den Armen der Krake Korruption befreit werden. Es braucht Investitionen, keine Panzer. Und dafür Christen, die für die von Gott gewollte Ordnung eintreten.