Die im Dunkeln sieht man nicht

Der 3. Oktober war ein Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat, zu der Bundesrepublik, die aus den Trümmern neu aufgebaut wurde. Trotzdem bleibt der Liedvers aus der Dreigroschenoper bestehen, denn die im Dunkeln standen nicht an den Mikrofonen und kamen in den Nachrichten nicht vor.

Es sind die Unzufriedenen

In die Tiefenschichten Vieler dringt das helle Licht des Exportüberschusses nicht durch. Es gibt ein Dunkel, das bei Wahlen und in Gewaltausbrüchen kurz seine Existenz signalisiert, aber sich sonst nicht zeigt. Wie die Schwarzen Löcher schluckt dieses Dunkel nur Energie. Die Volksparteien sehen ihre Wähler schwinden, sie ereifern sich in einer bloß gut gemeinten Rhetorik und führen damit dem Schwarzen Loch nur weiter Energie zu. Weil dieses Unbehagen im Dunkeln bleibt, streiten sich die Parteien um Personalien aus den eigenen Reihen und ob man mit der Partei, die von diesem Dunkel lebt, die Hand reichen soll. Die Berater und Politikprofessoren haben keine Strategie gefunden, wie man Licht in dieses Dunkel bringt.

Der Missbrauch

Die Katholische Kirche hat aus ihren Aktenschränken den Missbrauch auf statistische Größen gebracht. Großes Entsetzen, als sei das alles gerade passiert. Die Akten reichen bis in die Nachkriegszeit zurück. Das Dunkel, das jetzt einige Fälle freigegeben hat, besteht ja seit Jahrzehnten- nicht nur in der Katholischen Kirche. Warum hat sich 1968 niemand darüber aufgeregt. Die Zahlen sind ja in den Jahren der sexuellen Revolution noch einmal gestiegen. Der Berg im Untergrund wuchs aber nicht so hoch, dass die kritischen Geister ihn bemerkt hätten. Nicht die Ausübung von Herrschaft durch Sexualität wurde in den Blick genommen, sondern die Herrschaft durch Geld. Auch in den Achtzigern blieb das Dunkel, bis es dann in den Neunzigern langsam ans Licht kam. Die Reaktion bleibt genauso oberflächlich wie gegenüber dem Unbehagen, das sich in dem Populismus kundtut: Betroffenheit, Verurteilung, den anderen anschwärzen, er sei dem Dunkel zu nahe gekommen. Damit bleibt das Dunkel dunkel.

Der Osten

In den Neuen Bundesländern ist die Braunkohle nicht mehr zu riechen und ihr Staub nicht mehr wegzuputzen. Die Städte im Osten ziehen die Touristen an. Die Ostseebäder sind mit neuen Kurheimen ausgestattet. Nach außen ein strahlendes Bild, aber doch im Gefühl noch nicht dazugehörig. Der Osten erlebt es als eine zivilisatorische Eroberung durch den Westen. Eigentlich müsste die alte Bundesrepublik ihre Identität aufgeben und mit den Neuen Bundesländern eine neue suchen. Es ist eine kulturelle, keine technische Herausforderung. So erfolgreich die deutsche Ingenieurskunst ist, das kulturelle Deutschland hat seine Wurzeln verloren, Lesen und Schreiben werden nur notdürftig vermittelt, Kultur ist das, wo man am ersten spart. Die großen kulturellen Leistungen des ehemaligen Mitteldeutschlands scheinen vom Westen vereinnahmt.

Der Mehrheitsislam

Am meisten im Dunkeln dürften die etwa 80% der Muslime leben, die sich mit dem offiziellen Islam nicht identifizieren. Dieser Mehrheitsislam steht in Spannung zu dem, der sich auf die wörtliche Koranauslegung fixiert gegenüber Juden und Christen ein Überlegenheitsgefühl ausspielt und dem die Abgrenzung von der Gewalt nicht recht gelungen ist. Dieser Islam hat sich mit der Einweihung der Kölner Moschee als „der Islam“ noch einmal präsentiert. Im Unterschied dazu hat der Mehrheitsislam kaum Vertreter, die sich in der Öffentlichkeit artikulieren. Denn im Berufsleben und in der Nachbarschaft begegnet man freundlichen Muslimen, die aber nicht darauf vorbereitet sind, in einer fremden Umgebung ihre Religion erklären zu können. Der Bildungsrückstand wird von Muslimen selbst als die Wurzel der Probleme erklärt. Deshalb konnten die Moscheeverbände sich ohne Alternative öffentlich artikulieren. Nachdem die Inszenierung in Köln viele Fragen gestellt hat, böte sich die Chance, dass die Mehrheit der Muslime ihr Verständnis des Islam darlegt. Das beginnt an den neu eingerichteten Instituten, wo an Universitäten zukünftige Religionslehrer und -Lehrerinnen ausgebildet werden. Aber man muss schon dorthin gehen, die Öffentlichkeit erfährt kaum etwas, wie sich die Muslime im Rahmen eines Staates verstehen, der sich in seinen Gründungsakten nicht auf den Islam bezieht, sondern vielmehr einen religiösen Pluralismus ausdrücklich zulässt.

Der 3. Oktober war 2018 kein gelungenes Fest. Möglicherweise sind die Abgründe in der deutschen Seele zu tief aufgerissen. Wenn die Bürger allerdings darauf warten, dass die Politik das alles in die Hand nimmt, verstehen sie die Verfassung dieses Landes nicht. Die Bundesrepublik ist nicht als Staat der Regierenden gegründet worden. Es ist der einzelne aufgerufen, aber auch die gesellschaftlichen Gruppen. Innerhalb der katholischen Kirche arbeitet die Caritas an ihren Aufgaben, dagegen scheint die Bildungsarbeit ein Auslaufmodell zu werden und die vielen Gremien sind in die nicht endenden Strukturdebatten verklebt.