Kirche in der Coronakrise: Eine vertiefte Fastenzeit!

Die Corona-Pandemie hat das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt, auch die Kirchen. Für Christ:innen wird diese Fastenzeit dadurch zu einer ungeahnten Herausforderung – geistlich und karitativ. Was können die Kirchen tun, wenn sie nichts tun können?

Corona offenbart die Verletzlichkeit global-vernetzter Strukturen, in denen die Menschheit heute lebt. Seit Wochen ergreifen Staaten rigide Maßnahmen, die auf eine deutliche Einschränkung des öffentlichen, freien Lebens hinauslaufen. Ziel ist es, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das Mittel dafür ist der Rückzug ins private Häusliche.

Kein Osterlob?

Davon sind die Kirchen nicht ausgenommen. Mittlerweile sind in vielen Ländern alle öffentlichen Gottesdienste untersagt. Kirchen sind vielerorts geschlossen. Der Vatikan empfiehlt, dass öffentliche Gottesdienste in allen vom Virus betroffenen Regionen weltweit entfallen sollen. Mehrere deutsche Bistümer haben bereits alle Gottesdienste über die Kar- und Ostertage abgesagt Ostern fällt also aus? Ein Jahr ohne das Osterlob in der Osternacht, das Exultet?

Die Coronakrise beschneidet auch das christliche Leben in seinen Vollzügen: Gebet und Gottesdienst, missionarisches Zeugnis, Hilfe für den Nächsten. Auch kirchliche Gemeinschaft als Grunddimension gelebten Christentums ist in den gewohnten Formen gar nicht oder nur eingeschränkt möglich.

Abgeschnitten von den Quellen

Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es in Westeuropa keine derart gravierenden Einschnitte in die christlichen Glaubensvollzüge mehr. Für viele Christ:innen stellt die Gemeinde mit dem sonntäglichen Gottesdienst das Zentrum ihres Glaubens dar: Hier wird gebetet, gefeiert und Gemeinschaft erfahren. Von diesen Quelle ihres Glaubens sind Christ:innen auf unbestimmte Zeit abgeschnitten. Auch die Absage seelsorglicher Angebote und karitativer Dienste ist eine notwendige, aber traurige Konsequenz aus den Schutzmaßnahmen. Das sonntägliche gemeinsame Mittagessen mit Obdachlosen und Bedürftigen kann nicht stattfinden. Kirchliche Beratungsstellen sind geschlossen.

Dürrezeit, auch sozial

Hinzu kommt, dass die Krise die Existenzgrundlage vieler Menschen bedroht. Die Kirche ist solidarisch mit ihnen, kann aber auf ihre Nöte jetzt gerade keine konkreten Antworten geben. Wer kümmert sich um Menschen in prekären Verhältnissen oder deren Löhne ersatzlos ausfallen?

Was bleibt von der Kirche in dieser Situation? Das, was Kirche ausmacht und was sie normalerweise tut, kann sie momentan nicht vollziehen. „Jetzt ist wirklich Fastenzeit!“ heißt es in einer Pfarrmitteilung. Eine Dürrezeit für die Kirche. Wie können Christ:innen damit umgehen?

Spirituelle Eigenverantwortung

Wenn kirchliche Gemeinschaft vor Ort nicht möglich ist, können Christ:innen für ihr persönlich christliches Leben Verantwortung übernehmen. Die Krise könnte ein Weckruf für mehr spirituelle Eigenverantwortung sein, für ein christliches Erwachsenwerden. Die routinierten, vorgegebenen Formen von Spiritualität fallen aus. Christ:innen müssen selbst entscheiden, wie sie in dieser Situation ihre Gottesbeziehung im Alltag leben wollen und welche Quellen des Christentums sie dafür nutzen, etwa die Bibel oder Traditionen.

Bei Mönchen und Nonnen, in der monastischen Tradition, ist die Zelle, das eigene kleine Zimmer im Kloster der erste Raum für Gebet und Meditation. Die eigenen vier Wände als Haus Gottes zu begreifen, geht auf ein Wort Jesu zurück: „Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“ (Matthäus-Evangelium 6,6).

„Quarantäne-Exerzitien“

Christ:innen könnten die kommende Zeit, die vielleicht als geistliche Wüste empfunden wird, mit einer Wiederentdeckung des persönlichen Gebetes begegnen. Aus der plötzlich frei zur Verfügung stehenden Zeit könnten geistliche Übungen werden, „Quarantäne-Exerzitien“: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“ (Markus-Evangelium 6,31).

Vielleicht hilft auch folgendes Bild: Selbst in der verschlossenen Kammer bleibt heutzutage ein Fenster geöffnet: die digitale Welt. Geistliche Gemeinschaft kann heute zugleich virtuelle Gemeinschaft sein, etwa durch Live-Übertragungen im Internet, sog. „Streaming“ oder Vernetzung in den Sozialen Medien. Hier könnte die Coronakrise auch eine ganz neue Erfahrung von Katholizität eröffnen: Eine alles umfassende Kirche in vielen Häusern aus vielen Einzelpersonen, nicht isoliert nebeneinander, sondern gem-einsam, verbunden durch ein geistliches und virtuelles Netz.

Distanz, aber nicht sozial

Geistliche Strategien als kirchliche Antworten auf die Coronakrise genügen aber nicht. Wie handeln die Kirchen angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Krise – aus Nächstenliebe? Es ist bemerkenswert, dass sich der Fokus des gesellschaftlichen Handelns besonders auf die Sorge um die Gefährdeten gerichtet hat. Die Risikogruppen der Kranken und Alten werden als schutzbedürftig erkannt und es wird um ihretwillen gehandelt. In der Krise werden nicht alle zu Egoisten. Menschen kümmern sich um alte und kranke Nachbarn, gehen für sie einkaufen, begegnen den Folgen sozialer Isolation. Es entspricht dem Wesen christlicher Diakonie, danach zu fragen, was ich tun kann, um denen zu helfen, die bedroht sind.

Selbstbeschränkung und der Verzicht auf Veranstaltungen sind jetzt diakonisches Handeln. Es ist ein Dienst der Nächstenliebe, Gottesdienste abzusagen. Es gilt ein ungewöhnlicher, scheinbarer Widerspruch, ein Paradox: Distanz ist soziale Zuwendung! Soziale Nähe, ohne körperliche Nähe! Der englische Ausdruck „social distancing“ ist daher eigentlich falsch gewählt. Die schmerzlich erfahrenen Einschränkungen sind tatsächlich Akte der Solidarität.

Sorge für die Seelen

Gleichzeitig gehören die beiden großen Kirchen mit Caritas und Diakonie zu den größten karitativen Institutionen in Deutschland. Wenn diese institutionelle Hilfe eingeschränkt wird, braucht es vermehrt konkrete Eigeninitiativen und persönliche Hilfe von Christ:innen vor Ort. Aber auch institutionell muss die Kirche in der Krise angemessene Lösungen für nun sozial und wirtschaftlich Benachteiligte Menschen finden.

Ähnliches gilt für die Seelsorge von Erkrankten, von Hinterbliebenen verstorbener Corona-Patienten sowie von belasteten Ärzt:innen und Pfleger:innen. Auch wird es seelsorgliche Angebote zur Bewältigung von Angst und Trauer brauchen.

Fastenzeit: Kräfte sammeln für „danach“

Schließlich ist abzusehen, dass die langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen enorm sein werden. Die gewissermaßen „vertiefte“ Fastenzeit könnte daher dazu dienen, Kräfte und Ideen zu sammeln, um mit Engagement in die Zeit „nach“ Corona zu starten. Die Zeit des freiwilligen und unfreiwilligen Verzichts ist eine wirkliche Fastenzeit für die Kirche. Als spirituelle und karitative Herausforderung ruft uns diese Quarantäne zur Einkehr in die verschlossene Kammer und zur Umkehr in die persönliche Verantwortung für gelebtes Christentum – im Gebet und in der hilfreichen Tat.